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Rasierer

Wieder Ruhe im Land
erschienen in KORSO/Oktober 2006

 

Egal wie stinkig und langweilig der Wahlkampf war, am Wahltag – und die paar Tage danach – ist es dann richtig spannend geworden. Eine kleine Entschädigung für den enormen Aufwand, den die MinistrantInnen und von und zu Abgeordneten dem Souverän, also mir, zugemutet haben. Weil, zum Lachen war da nix dabei.

 

Erst hat es die ganze Zeit geregnet. Und wie es dann endlich schön geworden ist, wettermäßig, haben diese Damen und Herren die Tage verdunkelt. Wäre nicht das österreichische Mediendrama "Kampusch" uraufgeführt worden, unser Land wäre zum Start der Herbstsession völlig versumpert. Nebelige Leere in den Köpfen vor lauter wabernden Worthülsen. Ein höchst unangenehmer Geisteszustand. Ich hab ja lieber was zu tun.

 

So hat mich interessiert, wie man den Pflegenotstand verorten kann. Abgesehen davon, dass die öffentlichen Bekenntnisse diverser Personen zum Pflegenotstand in der Alten- und Behindertenpflege einen eher nonchalanten Umgang mit dem Rechtsstaat bekunden, hab ich nicht gewusst, wie verschieden das Recht in Österreich ist. Hab ich ehrlich nicht. Wirklich. Aber das wird ja jetzt gerichtet. Das haben alle gesagt. Und dann muss es auch stimmen.

 

Dann der Demokratiepflegenotstand. Das ist grundsätzlich. Eine Demokratie ohne Pflege wäre ja nur mehr repräsentativ. Obwohl man die Wahl hat. Wenn man hingeht. Nur, auch wenn man nicht hingeht, hat man gesagt, was man davon haltet. Und wenn man hingeht und kein Kreuzerl macht, oder zwei, gilt dasselbe. Aber die sind im Parlament nicht vertreten. Beziehungsweise nicht nicht vertreten. Das wären bei dieser Wahl immerhin 50,5 Nichtabgeordnete zum Parlament gewesen (ohne Wahlkarten). Wenn ich mich nicht verrechnet hab. Aber das ist nicht repräsentativ. Demokratie ist es schon.

 

Wegen dem Geld sag ich das nicht. So ein Politiker kriegt ja einen Bettel im Vergleich zu dem, was ein mittlerer Manager mit der gleichen Arbeitszeit einstreift. Dem bin ich es aber auch nicht neidig, ich hab genug zu tun. Und Politiker sollten wir uns schon leisten wollen. Wir können ja nicht alles selber machen. Mir geht’s da mehr um die Demokratiepflege. Die, die nichts mehr dazu sagen wollen, sollten auch eine Vertretung haben. Oder eben eine Nichtvertretung. Da sieht man dann gleich: normal 183, jetzt halt nur 132,5. Das sagt gleich viel mehr aus, wenn man die leeren Sessel sieht. Rein optisch schon. Aber da wollen wir jetzt nicht drauf herumreiten. Das bringt ja nichts.

 

Der Demokratiepflegenotstand beruht ja hauptsächlich darauf, dass uns die alle für Trotteln halten. Das ist umgekehrt natürlich genauso. Und das ist wieder ganz schlecht für eine entspannte Kommunikation. Weil, wenn du einen für einen Trottel haltest, ist es mit der Höflichkeit allein oft nicht getan. Da musst du manchmal schon lügen. Und wenn du einen anlügst, spürt der das natürlich sofort. Da kann er der größte Trottel sein, mit lügen geht da nichts. Aber mit ehrlich geht auch nicht viel. In der Politik halt nicht. Also, ehrlich, wie wir das verstehen. Das ist ein Dilemma. Die sind natürlich schon ehrlich, sonst würde ja nicht so viel weitergehen im Land. Aber eben anders. Das verstehen wir nicht. Wir haben´s ja auch nicht gelernt. Und das muss man lernen. Handschlagqualität heißt das dort. Ausgemacht ist ausgemacht. Aber in der Politik hat das eine andere Bedeutung. Das ist wie NLP, das muss man auch lernen.

 

Und der Wirtschaftspflegenotstand. Den versteh ich ja nicht. Die Daten sind hyperausgezeichnet, und alle jammern. Und Geld gibt es auch in Hülle und Fülle. Ein bisserl ungeschickt verteilt, aber das soll ja ein Ansporn sein für uns alle. Also alles super, aber alle jammern. Gut, die Arbeitslosen. Da sollte sich jetzt wirklich einmal jemand darum kümmern. Das ist echt ein Problem, dass das keiner versteht: Der Mensch braucht ein Geld zum Leben. Und eine Beschäftigung für den Körper und den Geist. Von Arbeit war nie die Rede. Trotzdem labern sie einem die Ohren voll mit Arbeitsplätzen, Arbeitsplätzen, Arbeitsplätzen. Zu tun ist immer was. Aber wenn es keinen gibt, der das zahlen will (oder kann), dann bleibt das Tun halt ungetan. Das verstehen sie nicht richtig. Da kommen sie dann wieder mit den Arbeitsplätzen. Und davon gibt es wieder zu wenig. Das ist ungeschickt verteilt. Und das ist, glaub ich halt, das Hauptproblem vom Wirtschaftspflegenotstand. Dass die Wirtschafter nicht so gut wirtschaften können. Sonst wären die Sachen nicht so ungeschickt verteilt.

 

Andererseits, physikalisch kommt ja dort, wo schon was ist, immer was dazu. Das ist so. Grundsätzlich können die Wirtschafter also gar nichts dafür, wenn es dort immer mehr wird. Dass es dann woanders weniger wird, das ist ja kein Thema für die Wirtschaft, das ist Physik. Im Weltall ist immer gleich viel, in der Wirtschaft wird es immer mehr. Das ist der Unterschied. Und es muss ja auch immer mehr werden, wir werden ja auch immer mehr. Das geht sich ja sonst nie aus für uns alle. Auch wenn es ungeschickt verteilt ist, da ist es wenigstens. Wirtschafter sind ja keine Volkswirtschafter, das ist ja überhaupt ein ganz anderer Beruf. Wirtschafter wirtschaften, deshalb kann man mit Fug und Recht behaupten: Geht’s der Wirtschaft gut, geht’s der Wirtschaft gut. Da brauchen wir gar nicht jammern.

 

Gut, das mit den Banken war nicht so hypersuper. Aber das war jetzt zum einen wieder die Politik: Die Grünen haben sowieso kein Geld, die spielen da nicht mit. Die Roten wieder können nicht wirtschaften, die Schwarzen/Orangen/Blauen haben sich verspekuliert. Und ob der Eine jetzt im Häfen sitzt und der Andere im Aufsichtsrat, da kennt die Politik keinen Unterschied. Das ist eben die Verantwortung. Und gegen das Gesetz ist gegen das Gesetz. Das wird ja jetzt gerichtet. Das haben alle gesagt. Und dann muss es auch stimmen.

 

Zum anderen wieder hat der gelernte Österreicher immer schon ein volatiles Verhältnis zum Geld gehabt. Also eigentlich keines. Und verstanden hat er es sowieso nie. Das fangt schon mit den Prozenten an. Wer kennt sich da schon aus. Brutto, netto und so. Das ist irgendwie, also, ich weiß nicht. Und dann noch Zinsen. Wer soll sich das noch ausrechnen können. Das Rechnen ist in der Wirtschaft sowieso was Eigenes. Schon mit Mathematik, aber halt anders. Wirtschaftsrechnen. Da kann man sich dann leicht vertun. Ein Fehler kann da schon passieren. Aber in einem so kleinen Land macht das wieder nichts, weil, wir halten alle zusammen. Das müssen wir, weil wir ein kleines Land sind. Trotz EU. Da machen wir dann eine ganz normale GuV-Rechnung: den Gewinn tun wir dorthin, wo er hingehört, und den Verlust teilen wir uns. Umgekehrt gibt es das nicht, weil das in keine Buchhaltung hineingeht. Und eine Ordnung muss sein. Sonst kennt sich überhaupt keiner mehr aus. Und auskennen möcht ich mich schon.

 

Pflegenotstand. Da kann ich noch lang verorten. In der Bildung nicht mehr. Einen Bildungspflegenotstand gibt es nicht mehr, das hat sich jetzt erledigt. Weil, wenn ein Mensch, der von seinem zehnten bis zu seinem achtzehnten Lebensjahr allein durch das Lesen von Büchern und Zeitungen, und durch Fernsehen und Radio, einen derartigen Bildungsstand erreichen kann, dann kann die Volksschule nicht so schlecht gewesen sein.

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