texte ⇒  Bauernschach

Bauernschach

 

Am Freitag ist um drei Uhr Schluss. Vorher natürlich Jause. Also Mittagessen. Für ihn ist Mittagessen, für mich ist Jause. Imbiss. Brotzeit. Er ist ein ordentlicher Esser. Er isst immer ordentlich. Viel. Er ist dick. Und er schwitzt. Immer schwitzt er. Auch beim Essen. Und natürlich bei der Arbeit. Auf dem Bankerl essen. Ich Jause, er Mittagessen. Viel, das hab ich schon gesagt. Ich Salat. Nimm einen Salat mit, hat sie gesagt. Ja, hab ich gesagt, Salat. Er isst. Wir reden nicht beim Essen. Sein Essen ist wie ein Gespräch. Zwischendrin hör ich die Vögel pfeifen. Dann wieder ihn. Dann wieder Arbeit.

 

Beim Geländer am Weg sind Bretter morsch. Bretter tauschen, nur zur Sicherheit. Niemand soll die Böschung runterfallen in den Fluss. Bretter tauschen. Drei haben wir noch. Schönes Wetter. Spaziergänger, Hunde mit Menschen an der Leine, Radfahrer. Manchmal Fahrradglocke, manchmal Bellen. Manchmal kurzes Reden. Er schwitzt. Früher war das ein normaler Weg zum Gehen. Da waren auch noch Bänke. Zum Rasten, der Weg ist lang. Jetzt ist es ein Spazierweg mit Geländer und Asphalt. Damit man mit dem Fahrrad fahren kann. Und, damit man nicht schmutzig wird beim Gehen. Bänke sind jetzt kaum noch. Die Leute rasten ja viel weniger. Und die Gemeinde sorgt für Sicherheit. So wird alles immer besser.

 

Bretter tauschen. Eines haben wir noch, denk ich grad. Er schwitzt. Und er schimpft, dass es von den Hunden ist, dass die Bretter dauernd morsch sind. So weit brunzen die jetzt nicht hinauf, sag ich, dass die da oben immer morsch sind, das ist vom Regen. Und, dass kein Geld da ist zum Imprägnieren für das Holz, das sag ich auch. Kein Geld, kein Lack, kein gar nichts. Und wie ich Regen sag, da muss ich selber brunzen. Geh schauen vorne, sagt er, ob was ist. So geh ich schauen vorne, ob was ist. Es ist was. Ein durchgemorschtes Brett und drunter gleich noch zwei. Ein leichter Tritt, denk ich, und die sind durch. Starker Harndrang. Das geht in die Hose, denke ich. Ich trete nicht.

 

Ich bin fertig, ruft er, komm, wir fahren. Ich geh zurück. Da vorne sind noch welche, sage ich, die sind praktisch durch. Er schwitzt andauernd. Wir haben keine mehr, sagt er, nimm das Absperrband, das Absperrband ist deine Arbeit. Ich kann nicht, sage ich, ich muss dringend brunzen. Mach du das, sage ich zu ihm und gehe. In die Büsche gehe ich hinein, es sind Frauen auf dem Weg und Kinder, die schauen sonst. Ich hör die Autotür.

 

Wie ich zurückkomm, sitzt er vorn im Wagen. Alles in Ordnung, frage ich. Alles in Ordnung, sagt er, steig endlich ein. Ich steige ein und er fährt los. Zwei Uhr, sagt er, wir sind zu früh. Ein Bier, fragt er. Ein Bier, sag ich, er ist mein Vorgesetzter. Das Band, frag ich im Gasthaus, nur zur Sicherheit frag ich, das Absperrband. Montag ist auch noch ein Tag, sagt er. Er schwitzt noch immer. Prost, sagt er. Den Salat, denk ich, brauch ich jetzt auch nicht mehr. Es ist dann spät geworden.

 

Ich stehe auf und gehe in die Küche. Sie steht am Herd und kocht die Suppe. Sie sagt nichts mehr. Früher schon. Früher war es aber schlimmer. Jeden Tag ein Rausch. Dann wieder keine Arbeit. Noch mehr saufen. Nicht öfter, mehr. Dann hat mich die Gemeinde eingestellt. Mein Vater, hat sie zu mir gesagt, hat dich dort hineingebracht. Schau, hat sie gesagt, dass du da bleiben kannst. Ein- bis zweimal in der Woche jetzt, nicht mehr. Kein Schnaps. Und bei der Arbeit gar nichts. Drei Jahre bin ich jetzt bei der Gemeinde.

 

Ich rauche. Hast du gelesen, fragt sie, sie deutet auf den Tisch. Da liegt die Zeitung aufgeschlagen. Ich habe nichts gelesen, ich bin grad aufgestanden. Ich sage nichts. Ich setz mich hin, ich schaue in die Zeitung. Ein Foto. Ein Weg und ein Geländer, unten dann ein Fluss. Ich schau genau. Der Weg und das Geländer, unten dann der Fluss. Oben auf dem Geländer ist ein Brett, darunter nichts. Nur noch Reste links und rechts, dort bei den Schrauben. Kein Absperrband. Ein Kind ist tot.

 

Oben ist die Frau gestanden, lese ich. Sie hat nur einmal nicht geschaut. Der Kinderwagen los hinunter aufs Geländer zu, die Bretter brechen weg. Der passt genau da drunter durch, der Kinderwagen. Die Böschung hinunter in den Fluss. Die Frau gleich hinten nach. Die haben sie gerettet. Den Kinderwagen haben sie dann auch herausgezogen. Das Kind war tot.

 

Hast du da gestern nicht, fragt sie, hast du da gestern nicht gearbeitet. Ich sage nichts. Noch eine Zigarette. Kaffee, frag ich. Es gibt Kaffee. Ich dreh mich hin zum Sitzbankeck. Der Schnaps, denk ich, wo ist der Schnaps. Kein Schnaps. Seit drei Jahren ist kein Schnaps im Haus. Die Hände zittern. Hast du da gestern nicht gearbeitet, fragt sie noch einmal. Ja, sag ich.

 

In die Stille läutet es. Das Telefon. Auf den Posten soll ich kommen. Die Polizei. Das ist schnell gegangen, denke ich. Ich gehe hin. Wie ich hineingeh, merke ich, ich hab noch eine Fahne. Von gestern eine Fahne. War viel Bier. Der Postenkommandant merkt das natürlich auch, denk ich. Da bist du ja, sagt er. Sonst sagt er nichts. Er kennt mich jetzt schon lange. Nicht nur vom Posten, vom Wirtshaus auch. Er hat eine rote Nase.

 

Drinnen sitzt mein Vorgesetzter. Er schwitzt. Er grinst. Der Raum ist voll, es sind alle da, auch ein Herr im Anzug. Grüß Gott, sag ich. Es bleibt still. Ich bin nicht blöd. Aha, denk ich. Mir wird heiß. Er ist ja immer noch betrunken, sagt mein Vorgesetzter. Immer noch betrunken, lacht er dann. Auf dem Schreibtisch liegt die Zeitung aufgeschlagen. Keiner sagt was. Alle schauen ernst. Setz dich hin, sagt der Postenkommandant. Mitten vor dem Schreibtisch ist ein Sessel frei. Ich setz mich hin. Der Postenkommandant geht um den Tisch herum und setzt sich vor mich hin. Er dreht die Zeitung her zu mir, dass ich das Foto seh. Er schneuzt sich laut. Dann lehnt er sich zurück und schaut noch ernster. Es ist so still, dass man die Fliegen hört. Die Uhr. Aha, denk ich, die haben sich das eh schon ausgemacht.

 

Siehst du ein Absperrband, fragt der Postenkommandant. Er deutet auf das Foto. Ich sehe keines, sagt er. Das Absperrband ist seine Arbeit, sagt mein Vorgesetzter. Und dass da keines ist, sagt er. Nur zur Sicherheit, sagt er, möchte ich das wiederholen, kein Absperrband. Und, das ist seine Arbeit, das sagt er noch einmal. Ich denke, es ist besser, ich sag jetzt nichts, sag ich. Und ich sag, ihr habt euch das ja eh schon ausgemacht. Also, was soll ich jetzt noch sagen. Dann ist es wieder still.

 

Es ist nicht gut, sagt der Postenkommandant nach einer Weile, wenn du gar nichts sagst. Weil, wenn du gar nichts sagst, sagt er, zählt das, was ist. Und das, was ist, schaut gar nicht gut aus. Kein Absperrband heißt Pflichtverletzung. Kein Absperrband heißt Kündigung. Heißt fristlos. Kein Absperrband kann auch Gefängnis heißen, sagt er. Und da können wir dir gar nicht helfen. Damit wir dir helfen können, sagt er, dazu sind wir aber heute da. Also lass dir jetzt helfen, sagt er, und sag jetzt was. Und ich sag, ich sag jetzt aber nichts.

 

Ein Kind ist tot, sagt der Herr im Anzug, und die Presse wartet. Sie werden also etwas sagen müssen. Und der Bürgermeister sagt, damit er endlich auch was sagt, jetzt sag was. Sag endlich, wie es war. Und der Vorgesetzte sagt, jetzt sag, dass ich gesagt hab, dass du das Absperrband anbringen sollst. Anbringen, sag ich, sagst du sonst nie. Und dass ich dauernd sagen muss, dass ich jetzt nichts sag, das bringt uns auch nicht weiter, sag ich noch. Und das dauernd sagen sagen müssen geht mir auf die Nerven, sag ich noch dazu. Er ist stur, sagt der Mann im Anzug, und, er versteht es nicht. Ein Kind ist tot, und weit und breit kein Absperrband, sagt er. Die Verantwortung, sagt er, jetzt reden Sie doch endlich. Alle sind nervös.

 

Gut, sag ich nach einer langen Pause, dann red ich jetzt. Und ich erzähle, wie es war. Dass ich hab dringend brunzen müssen, und, dass er, und ich deute hin zum Vorgesetzten, das Absperrband hätt festmachen sollen, damit ich brunzen kann. Während ich brunze, hätt er es festmachen sollen, das Absperrband, sag ich. Und wie ich zurückkomm, dass er im Auto sitzt, sag ich. Und dass er im Auto noch gesagt hat, dass alles in Ordnung ist, sag ich, weil ich gefragt hab, ist alles in Ordnung. Und dass er im Gasthaus dann gesagt hat, am Montag ist auch noch ein Tag, sag ich. Und heute ist erst Samstag, sage ich, aber für das Kind jetzt nicht mehr. Kein Samstag und auch kein andrer Tag, sag ich, ist für das Kindl mehr. Und für die Mutter gibt es auch kein Wochenende. Und keinen schönen Tag.

 

Der lügt doch, schreit der Vorgesetzte in mein zu Redendes hinein, wenn er das Maul aufmacht. Und, schreit er, das kennen wir ja schon von diesem Säufer. Ich schrei zurück, du bist sogar besoffen mit dem Gemeindewagen heimgefahren. Besoffen mit dem Gemeindewagen, fragt der Postenkommandant. Kein Absperrband, schreit der Vorgesetzte hin, das Absperrband ist seine Arbeit, da kommt er nicht heraus, da hilft ihm gar nichts. So geht das Schreien hin und her, bis der Postenkommandant dann sagt, ihr beide, sagt der Postenkommandant, ihr beide seid jetzt still.

 

Und in die Stille sagt der Bürgermeister dann, damit er auch was sagt, dass wir beide still sein sollen. Und zum Herrn im Anzug sagt er, das gibt eine Untersuchung. Eine Untersuchung, betont er noch einmal. Da kommen wir nicht drum herum, sagt der Herr im Anzug. Eine Untersuchung, das ist dann wohl so, so sagt der Herr im Anzug. Und weiter sagt er, meine Herren, sagt er zum Postenkommandanten und zum Bürgermeister, nicht zu uns, da ist noch die Sache mit der Haftung. Weil die Gemeinde, so sagt er weiter, haftet für die Leute. Für die Arbeiter von der Gemeinde haftet die Gemeinde, sagt der Herr im Anzug. Absperrband hin oder her, da ist die Sache mit der Haftung. Und Fahrlässigkeit, sagt er, oder ein persönliches Verschulden, das wird auch die Untersuchung nicht ... Auch in der Untersuchung ist die Sache mit der Haftung, sagt er noch. Dann ist es wieder still.

 

Sie beide, sagt der Herr im Anzug dann zu meinem Vorgesetzten und zu mir, sie gehen jetzt wohl besser. Und der Bürgermeister sagt, ein deftiger Verweis, das ist noch das wenigste. Da könnt ihr euch auf was gefasst machen, sagt er weiter, ein deftiger Verweis. Wenn nicht mehr. Da wird es euch noch in den Ohren rauschen, wird er lauter, das ist noch nicht ausgestanden, schreit er, für euch beide nicht. Und ihr beide, sagt er dann, ihr beide geht jetzt besser. Aber bildet euch nichts ein, sagt er, das hat ein Nachspiel, ein deftiger Verweis ist noch das wenigste, das sag ich euch, sagt er.

 

Die Anzeige, fragt der Postenkommandant den Herrn im Anzug. Die Anzeige, sagt der Herr im Anzug, das entscheidet sich dann höheren Orts. Weil, sagt er dann weiter, erst ist noch die Untersuchung. Die Sache mit der Haftung. Der Postenkommandant und der Bürgermeister schauen streng, weil der Herr im Anzug auch streng schaut. Ich stehe auf. Mein Vorgesetzter steht auch auf. Dann gehen wir jetzt besser, sage ich, und wir gehen.

 

Deftiger Verweis, lacht mein Vorgesetzter vor der Tür. Ein Nachspiel wird das haben, lacht er weiter. Das Kind ist tot, sag ich. Und du bist schuld, sagt mein Vorgesetzter.

 

⇑ zum Seitenanfang