sportstück I
Senf dazu!
Talsohle erreicht oder über den Berg? Beide Phrasen sind positiv konnotiert; zum einen ginge es aufwärts, zum anderen allerdings wieder bergab. Finanz- und Wirtschaftskrise zeichnen sich naturgemäß auch als soziale Krise ab. Der „Plünderung der Zukunft Widerstand“ zu leisten, schreibt der Philosoph Peter Sloterdijk in einem Essay in der FAZ (10.06.2009), setzte eine „sozialpsychologische Neuerfindung der ‘Gesellschaft’“ voraus. Wer aber sollte erfinden, respektive wie könnte die Gesellschaft gefahrlos neu erfunden werden?
Antithese: Die Krise bewältigt sich selbst, nachdem sie sich auch selbst geschaffen hat. Das nicht mehr überschaubare System ist schuld, Manager sind seine gut bestallten Marionetten.
Dass Albert Pall und Wenzel Mraček Wirtschafter wären oder gar mit Geld umgehen könnten käme bisher nicht entdeckten Qualitäten gleich. Lesen aber, so beider Behauptung, können sie; nämlich ein Interview und den angesprochenen Essay von und mit Peter Sloterdijk, der darin zur Krise Stellung nahm.
Das auf GAT an zwei aufeinander folgenden Sonntagen ausgetragene Sportstück geht in Form zweier Kommentare zu Peter Sloterdijk über die Bühne. Die einzige Regel besagt, nicht zu wissen, welche Überlegungen der jeweils andere zum Thema führen wird. Ankick by Albert Pall, während sich Wenzel Mraček auf einem anderen Spielfeld befindet.
Spielfeldbegrenzung:
„Wir lebten in einer Frivolitätsepoche“, Ein Gespräch mit dem Philosophen Peter Sloterdijk über die Finanzmarktkrise, nachzulesen hier ⇒ „Die Revolution der gebenden Hand“, Essay von Peter Sloterdijk, nachzulesen hier ⇒
Wenzel Mraček, Albert Pall
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kriseninnovationen erschienen auf www.gat.st, Oktober 2009
Das Weltall hat Löcher. Ein ordentlicher Schweizer Käse hat auch Löcher, die haben aber eine ganz andere Farbe. Dass ein ordentlicher Schweizer Käse jetzt nicht das Weltall ist, sieht jeder, auch wenn der Käse für manchen ein ganzes Universum ist. Und dass das Weltall kein Schweizer Käse ist, sieht auch jeder. Weil es eben verschieden ist. Zwei Sachen sind immer verschieden, sonst wären sie ja eine. Oder was anderes.
Das mit den Löchern ist aber überhaupt was ganz anderes, von der Farbe einmal abgesehen. Weil eben niemand weiß, wo ein Loch anfängt. Oder wo es aufhört. Oder der Rand. Gehört der Rand vom Loch zum Loch, oder gehört er zu dem, was ums Loch herum ist. Das weiß auch keiner. Wissen vielleicht schon, aber beweisen kann es keiner genau. Jetzt kann man natürlich sagen, dass das nicht wichtig ist, wo der Rand vom Loch dazugehört. Aber wenn man da schon schlampig ist, dann ist das der Anfang vom Ende.
Ein Budgetloch zum Beispiel. Da sagt die Politik, dass das Schulden sind, und schon ist es nicht mehr so schlimm. Wenn man sich mit Löchern auskennt, weiß man aber, dass Schulden das Geld für die Zeit von der Zukunft sind, was wir jetzt schon verbrauchen, obwohl noch keine Zukunft da ist. Schlimm ist es deswegen, weil wir ja gar nicht wissen, ob eine Zukunft sein wird. Also ist mit dem Nichtwissen von der Zukunft schon klar, dass ich das nicht zurückzahlen werde, weil ich ja meistens sowieso kein Geld habe. Es trifft mich also nicht.
Das ist allerdings wieder schlampig gedacht, weil es mich natürlich schon trifft. Die Weltwirtschaftskrise zum Beispiel trifft mich schon. Die hat jetzt übrigens Geburtstag gehabt. Ich weiß allerdings nicht, ob man da alles Gute wünscht. Das ist aber egal, weil ich eh nicht weiß, wem ich gratulieren sollte. Die Weltwirtschaftskrise, sag ich jetzt noch einmal, trifft mich schon. Nicht, weil ich jetzt weniger Geld habe, das geht bei mir gar nicht. Wenn man nur Schulden hat, hat man nie weniger Geld, weil man eh keins hat.
Aber in der Weltwirtschaftskrise haben alle kein Geld, also zahlen die, die noch ein bisserl ein Geld haben, denen, die überhaupt nichts mehr haben, weniger für die Zeit, die sie einkaufen. Also für die Arbeit. Oder sie zahlen gar nichts mehr, weil sie ihr Geld lieber für etwas mehr Zeit für sich selber ausgeben. Das sind die Prämien, die die Manager kriegen, obwohl sie sagen, dass gar kein Geld da ist.
In jedem Fall ist es dann so, dass jetzt weniger für die Zeit bezahlt wird, also werden auch weniger Schulden bezahlt. Und wenn weniger Schulden bezahlt werden, haben wir dann noch weniger Zeit in der Zukunft. Damit tut sich wieder ein neues Loch auf, das Zeitloch.
Wenn jetzt aber ein Zeitloch ist, dann ist die Zukunft schneller da, als sie sollte. Was nichts anderes heißt, als dass wir früher dort sind, wo wir gar nicht hin wollten, am Ende. Obwohl ja der Weg das Ziel ist. Und das nur wegen der Schulden.
Die jetzige Form des Kapitalismus, wo man im Jetzt mit der Zukunft hausieren geht, ist also kein normaler Diebstahl, wo man jemandem etwas wegnimmt, was der mehr oder weniger brauchen kann. Im Kapitalismus ist sie ein Kapitalverbrechen, weil sie der Wirtschaft das Betriebsmittel entzieht. Weil Zeit ja Geld ist. Da sterben wir dann dumm, weil wir gar keine Zeit gehabt haben, um das zu lernen.
Wenn man jetzt aber glaubt, dass das eine riesige Gemeinheit ist, muss man sich erst einmal die Politik anschauen. Im Kapitalismus kann man pleite gehen, also in den Konkurs. Da hat man das ganze Geld, also auch die Zeit, verloren, und dann fängt man wieder bei null an. Also von vorne. Was geographisch nicht ganz richtig ist, weil ja die Zukunft vorne liegt, die Vergangenheit hinten und das Jetzt, wo man wieder von vorne anfangen muss, das weiß man nicht so genau.
In Konkurs kann ein Staat aber nicht gehen, weil man einen Staat nicht verkaufen kann. Die Sachen schon, das machen sie ja auch, aber den Staat, also uns, kann man nicht verkaufen. Deswegen kann die Politik, die den Staat lenkt, Schulden machen auf Teufel komm raus. Und das machen sie auch. Das geht, weil die Politik für ihre Geschäfte die Regeln selber macht. Wenn ein Wirtschafter, also ein Kapitalist, seine Regeln selber macht, landet er im Kriminal. Oft auch nur vorübergehend, es ist aber trotzdem keine schöne Erfahrung. Einen Finanzminister wirst du aber im Gefängnis schwer finden. Weil das alles seine Ordnung hat.
Kapitalistisch gesehen funktioniert das mit den Staatsschulden aber gleich wie in der Wirtschaft. Nur ist das Zeitloch, das sich auftut, größer. Und weil die Zukunft, die da verschuldet ist, über mehrere Generationen geht, heißt das auch Generationenvertrag. Das hat allerdings früher ganz was anders gemeint. Früher haben die, die jetzt gearbeitet haben, für die, die früher gearbeitet haben, die Pensionen gezahlt. Jetzt müssen die, die noch gar nicht auf der Welt sind, das zahlen, was jetzt ist. Dass ein Politiker allerdings versteht, wie schwierig das dann mit der Zeit ist, glaub ich nicht.
Weil ja, ich wiederhole das nicht gerne, ein Zeitloch die Eigenschaft besitzt, dass das Ende früher da ist. Wenn aber das Zeitloch so groß ist, dass gar keine Zukunft mehr sein kann, tut sich die Frage auf, ob dann noch jemand sein wird, der die Vergangenheit bezahlen kann. Und, wenn ja, werden die dann auch wollen.
Schön ist, dass es für jedes Problem eine Lösung gibt. Auch in der Politik. Politische Lösungen sind aber, das haben wir früher schon gelernt, immer teuer. Und die teuerste Lösung für das Problem, dass die Politik zu viele Schulden gemacht hat, ist die Inflation. Das ist so wie der Konkurs im Kapitalismus, nur kann man da nicht von vorne anfangen, weil das Elend so groß ist. Und das Elend alleine reicht noch nicht. Damit man dann wieder von vorne anfangen kann, muss erst einmal alles kaputt sein. Wie damals, wo wir nichts mehr gehabt haben. Außer unserer Hände Arbeit. |
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