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04 - kopflos

http://kunstradio.at/2004A/11_07_04.html
gesendet am 11.07.2004 23:05 Uhr auf ORF - Ö1 - Kunstradio
Sprecherin: Doris Glaser / Tontechnik: Harald Landgraf

 

 

Ich fahre gerne mit dem Zug. Es regnet draußen, trotzdem schau ich aus dem Fenster. Die neuen Waggons sind so, dass man glaubt, die Landschaft fährt vorbei, es geht sehr ruhig. Rattern tut es auch nicht mehr, nur bei den Weichen. Und dort, wo die Schienen nicht geschweißt sind.

 

Alles ist grün. Der Fluss hat viel Wasser. Die Kühe liegen im nassen Gras. Obwohl es regnet, schaut das gemütlich aus. In den engen Kurven quietscht es. Nirgends darf man rauchen, aber das habe ich schon lange aufgehört.

 

Ich bin schon früh weg, der Zug ist voll mit Schülern und den Pendlern. Es ist recht laut von den Kindern. Die Erwachsenen schlafen oder lesen Zeitung, manche reden miteinander. Es wird viel telefoniert, alle haben eines. Abteil war keins mehr frei, das ist meistens so, wenn man dazwischen einsteigt, da wär es ruhiger. Mit der Karte ist es wenigstens billiger. Ich tu das Magazin in die Tasche, gelesen hab ich nichts, wir sind gleich da. Bei der Einfahrt in die Stadt sieht man die neue Halle.

 

Am Bahnhof trinke ich Kaffee, daheim war noch nichts offen. Das Wurstbrot lass ich in der Tasche bei der Limonade, das kann ich später essen. Vom ersten Stock sieht man auf den Platz, der Kaffee ist sehr gut und die Sessel sind bequem. Der Platz glänzt nass, ich sehe Beine gehen und die Schirme. Den habe ich vergessen, aber die Haube tut es auch, so viel Regen ist es nicht. Der Kaffee ist teuer.

 

In der Straßenbahn tropft es vom Schirm vom Sitznachbarn auf meine Schuhe. Ich schiebe ihn weg, der Sitznachbar schaut mich böse an. So schau ich aus dem Fenster. Sie haben angerufen, dass es Schwierigkeiten gibt, und ich soll kommen reden. Der Nachbar hat gesagt, es ist recht laut von der Musik, auch in der Nacht. Ich mach mir keine Sorgen, wir werden dann schon sehen, so schlimm wird es nicht sein.

 

Durch die Einkaufsstraße, da ist viel Verkehr. Dann beim Schuhgeschäft vorbei, die haben zusperren müssen. Über den Fluss. Auf dem Platz vor dem Rathaus ist alles voll mit Standln und den Leuten, um das Denkmal haben sie Pflanzen aufgestellt. Große Töpfe, dazwischen Ketten, das ist neu.

 

In der Straßenbahn riecht es feucht und am Boden steht das Wasser. Die Geschäfte in der Fußgängerzone machen gerade auf, es geht ziemlich zu, auch hier viele Autos. Dann muss ich umsteigen.

 

Ich muss warten. Die Leute rennen mit den Schirmen vorbei und man muss immer ausweichen, damit sie einem nicht ins Gesicht fahren. Nass wird man auch von dem, was herunter rinnt, da passt keiner auf.

 

Die Straßenbahn kommt, es ist ein großes Gedränge, alle schieben an. Es sind noch Schulkinder unterwegs und man kriegt die Taschen ins Kreuz, aber die sind gleich wieder weg. Jetzt kann ich mich hinsetzen. Wir fahren weiter hinunter, dann biegen wir ab zur Kirche hinüber, dann über den Fluss. Hier muss ich aussteigen.

 

Es ist ein Stück zu Fuß und ich werde nass, es regnet mehr, der letzte Schütter, hinten wird es schon heller. Auf den Gassen ist niemand, manchmal fährt ein Auto.

 

Vor dem Geschäft rinnt das Wasser von den abgedeckten Obststeigen, die Tür ist offen, aber es ist niemand drinnen. Auch hier muss ich wieder warten. Dann kommt sie von hinten aus dem Lager, sie wischt die Hände in die Schürze. Ich kaufe eine Jause. Butter, Wurst und Käse, ein Brot und etwas Obst, eine Schokolade, er hat sicher wieder nichts daheim.

 

Über dem Fluss der Park, herüben das Haus. Siebenundneunzig Stufen. Bis ich oben bin, ist mir warm. Natürlich ist er nicht da, das habe ich gewusst, ich habe einen Schlüssel. In der Wohnung ist es finster.

 

Erst einmal die Rollos hinauf und lüften. Vom Balkon hat man einen schönen Blick, auch wenn es regnet. Den Schatten vom Wahrzeichen haben sie schon abmontiert, da machen sie ein Kaffeehaus draus oder auch was anderes, was Genaues weiß ich nicht.

 

Die Aschenbecher ausleeren und das Geschirr in die Küche. Das Bett ist nicht gemacht, aber das kann er selber tun, abziehen tu ich es schon. Die große Sporttasche steht im Vorraum, da kommt die Schmutzwäsche hinein, ist genug. Das Leergut in die Einkaufssackerl, die räum ich vor die Tür, sonst sind sie nur im Weg.

 

Ich hab mir das Radio eingeschaltet und hör zu. Ich ess das Wurstbrot auf und trink die Limonade, die ist warm geworden. Es gehört geputzt, aber jetzt kann ich nur drüberwischen, für mehr ist keine Zeit. Auf dem Tisch bei der Sitzecke sind klebrige Ränder und Brandflecken von den Zigaretten. Er raucht zu viel. Trinken tut er auch.

 

Am Schreibtisch rühr ich nichts an, obwohl alles durcheinander liegt. Dann saugen. Im Vorraum auf der Garderobe hängt eine lange Tasche, die ist leer. Zwei kurze Rohre liegen auf dem Boden.

 

Jetzt ist nur mehr die Küche, so groß ist die Wohnung nicht. Zimmer, Küche, Vorraum. Klo am Gang. Sie kostet nicht viel. Abwaschen. Mit dem kleinen Boiler ist nicht so viel warmes Wasser, so muss ich immer warten, bis es heiß ist. Kochen tut er nicht, da ist kein Geschirr, aber viele Gläser und die Häferl. Und Besteck vom Brote machen.

 

Seine Jause stell ich in den Kühlschrank und schmeiß die alten Sachen weg, auf dem Joghurt war schon Schimmel. Das Schneidbrett ist sehr schmutzig, dann bin ich fertig. Abtrocknen, Geschirrtücher sind noch genug, die hat er nicht gebraucht. Im Regal steht eine Schachtel mit einer Pistole drauf. An den Wänden Poster, auch drüben im Zimmer.

 

Dann wird es Zeit. Ich nehm den Müllsack mit hinunter, die Flaschen soll er selber tragen, mir sind die zu schwer. Über den Steg geh ich in den Park. Es regnet nicht mehr, aber es ist noch alles nass, so sind keine Kinder da. Bei dem Kletterturm mit der Rutsche macht ein großer Hund hin, der Mann mit der Leine steht auf dem Weg und wartet. Er raucht und schaut herum.

 

Um den Pavillon haben sie Drahtgestelle aufgebaut für die Rosen. Die sind gleich hoch wie das letzte mal, die wachsen nicht. Der Imbissstand ist auch neu gemacht, da kann man hinten sitzen, es ist ein Dach darüber. Heute hat er zu.

 

Neben dem Autogeschäft vorbei geh ich die Gasse rauf, es sind nur wenig Leute. Die Tasche mit der Wäsche wird langsam schwer, öfter wechseln, die eine Hand tut schon weh. Ich hab sie gleich mitgenommen, weil ich dann fahren muss, so viel Zeit hab ich nicht. Über die breite Straße, wieder ein Imbissstand, dahinter dann ein kleiner Platz, ich bin da.

 

Ich gehe in den ersten Stock und frage. Ich bin zu früh, der Direktor hat noch keine Zeit, aber ich kann schon rübergehen und warten, es kann nicht lange dauern. Die Frau ist sehr freundlich.

 

Ich kenn den Weg, ich war schon da. Auf den Gängen sind Bilder und Modelle, auch Keramik. Das haben sie alles selbst gemacht. Aus dem Fenster schau ich in den Hof. Es ist alles grün, die Sonne kommt heraus. Ich bleib ein bisschen stehen und schaue auf die Bäume und die Sträucher, alles blüht, auch der Flieder. Es ist sehr ruhig. Hinten an der Wand tickt die Uhr.

 

Dann hör ich Lärm, es kracht. Und dann öfter, es ist laut. Wie ich die Stiege hinaufgeh, rennen zwei vorbei, die sind mit Farbe angespritzt, sie haben es sehr eilig. Oben steht die Türe offen, ich höre Wimmern. Niemand ist hier auf dem Gang. Ich gehe hin und schau hinein. Da steht er.

 

Er hat einen langen, dunklen Mantel an. Der ist neu. Die Schuhe kenn ich auch nicht. Auf dem T-Shirt und der Hose ist es rot. Auch auf der Tafel und der Wand sind viele rote Spritzer. Dort, wo der Lehrer liegt, ist es verschmiert. Das ist Blut. Es rinnt. Die eine Hand zittert, auch der eine Fuß. Den Rest kann ich nicht sehen.

 

Vorne liegen zwei in einer großen Lacke, da rührt sich nichts mehr. Hinten kauern welche unter Tischen. Die Klasse ist voll Rauch, es stinkt. Es ist sehr still.

 

Er schaut mich an. In der Hand hat er die Pistole, die kenn ich von der Schachtel. Neben ihm am Katheder liegt das Gewehr mit den kurzen Läufen, daneben noch ein großes Buch und so was wie ein Kalender. Es ist alles voller Blut. Die Sonne scheint herein. Ich stell die Tasche mit der Wäsche auf den Boden, die Hand tut weh. Sagen kann ich nichts.

 

Hinten am Fenster über der Gasse steht einer und telefoniert aufgeregt, er deutet mit den Händen zu uns herüber. Ein paar Stühle sind umgefallen und vorn ein Tisch, Bücher und andere Sachen liegen am Boden. Es schaut ziemlich aus. Die rote Seite vom Radiergummi sieht man kaum. Der Lehrer rührt sich jetzt auch nicht mehr.

 

Die andern wimmern wieder, zwei wollen unter den Tischen hin zur Tür, es schaut komisch aus. Er hebt die Hand mit der Pistole und schießt hinten in die Wand, es kracht. Die unter den Tischen bleiben, wo sie sind, sie sind wieder still. In den Ohren klingt es nach. Sagen tut er nichts.

 

Hinter mir vom Gang hör ich Türen auffliegen und Laufen. Die draußen rufen durcheinander. Er schaut mich an. Er steckt die Pistole in den Mund. Dann kracht es wieder.

 

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