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02 - der nase nach

http://kunstradio.at/2004A/14_03_04.html
gesendet am 14.03.2004 23:05 Uhr auf ORF - Ö1 - Kunstradio
Sprecherin: Uschi Lukas-Possert / Tontechnik: Gerhard Hüttl

 

 

Der Staub hat sich über den Winter auf dem Fahrrad gesammelt, also abwischen, das Taschentuch nicht einstecken. Das Rad aus dem Keller in den Hof tragen, es ist kalt und feucht, aber sehr schönes Wetter. Es ist noch früh, die Tage werden länger. Autofahrer eilen wohin, nicht alle Scheiben sind eisfrei.

 

Die Gangschaltung kracht, auf den Zahnrädern und der Kette hat sich der Staub mit dem Öl verklumpt, auch die Radnaben leiden. Der Rollsplitt unter den Reifen, man muss auf der Seite fahren. Neben der Straße liegen schmutzige kleine Häufchen, etwas Eis und Dreck vermischt, die Stadt muss sparen. Wo die Straße trocken ist, staubt es hinter den Autos.

 

Die Reifen aufpumpen an der Tankstelle. Nach dem Zurückhängen schaukelt das Gerät leicht hin und her, sodass es gurgelt und pfeift beim Nachfüllen mit Luft. Der Kassier grüßt freundlich aus der Hütte, vor der Tür steht Bier im Angebot. Es ist viel Verkehr, es dauert länger über die Kreuzung.

 

Der Weg neben der Kirche ist asphaltiert, auch hier liegen Eispatzen herum. Über die Brücke ist es noch feucht. Es spielen schon Kleine mit Erwachsenen im Park, auch Hunde ohne Leine mit Leuten mit Leine laufen herum und riechen hinten bei den anderen Hunden. Kinderwägen stehen unordentlich um die Wiesen, nicht wie am Parkplatz, und es ist recht laut wegen dem Spaß mit dem Gatsch, der beim Draufspringen unter den dünnen Eisplatten herausspritzt.

 

Neben dem Bad Asphalt und der Rest vom Streuen, man hört die Autos, eine Straßenbahn. Unter der Brücke durch, Graffiti an der niederen Halle, auch Politik. Dann wird es ruhiger. Manchmal die Vögel. Die Reifen am Rollsplitt und durch die Lacken. Der Fahrtwind in den Ohren.

 

Durch die Siedlung, dahinter Schrebergärten, nicht mehr viele. Haufen von Laub und Beschnitt. Vereinzelt grünt es schon büschelweise, aber ordentlich, da wird gearbeitet. Frische Luft. Das Surren vom Umspannwerk schreckt auf. Die alte Fabrik. Zwei Betontennisplätze, die Sandplätze sind weiter unten, aber da muss man zahlen. Fußballtore, dazwischen die Wiese, wo die Hunde ihre Löcher graben, die hier spielen, kennen die Stellen. Das winzige Gasthaus mit der Zeltbühne im Garten für die Musik, am Wochenende, wenn es warm ist.

 

Über den Steg ist es schon fast trocken. Bei Denen, die laufen, dampft der Atem noch. Die spazieren, dampfen nicht. Manche grüßen, das hängt vom Gewand ab. Häuser stehen herum.

 

Es wird wärmer, die Hände auch. Noch eine Brücke, oben die Autos. Den Kopf einziehen wegen der Rohre, dann die neben dem Weg. Ein Golfplatz und Kleinindustrie, wenn das Wetter passt, stinkt es. „Inversion, da zieht nichts ab“, hat der Chef gesagt. Und: „Da kann man nichts machen.“

 

Die Menschen werden weniger. Nur mehr Sporträder, das Profil ist laut auf dem Weg, manchmal spritzen Steine. Auch Schweiß. Einzelne Inlineskater. Die Markierung am Boden sagt, dass die hier nicht dürfen. Die Sonne lacht auf die bunten Gewänder und blitzt von den Brillen. Der Fluss. Büsche und Bäume.

 

Mit den Rohren in den Wald, unter der Autobahn durch, dann Äcker, gedüngt, gepflügt. Die Krähen.

 

Ein Mann mit Leine und Schal um wird überholt. Weiter vorne der Hund. Er lauft neben mir her. Er hetzt nicht, ich fahre gemütlich. Der Mann mit Leine und Schal um pfeift hinten, der Hund hört es, aber es interessiert ihn nicht. Manchmal riecht er wo und brunzt dann hin, dann holt er mich wieder ein. Der Mann mit Leine und Schal um pfeift nicht mehr. Immer das riechen.

 

Dann wohnt niemand mehr, nur weiter weg hinter den Bäumen sind Häuser. Jetzt muss ich auch, von der Inspiration. Das Rad absperren und etwas hinter die Büsche und Bäume, der Hund schaut zu. Dann macht er auch da hin. Ein leichter Wind. Er hebt den Kopf und riecht, lauft weiter hinter die Büsche und Bäume. Hinterhergehen.

 

Die Schuhe werden schmutzig vom Gatsch und das alte Laub bleibt picken, sodass ich die Klumpen oft abstreifen muss an den offenen Wurzeln. Der Hund bellt, es ist nicht mehr weit, über mir fliegen Krähen. Hier drückt auch schon Grün büschelweise durch das alte Laub. Die gelben Blumen.

 

Dann sehe ich ihn, da hängt er. Der Hund bellt nicht mehr, er sitzt da und schaut mich an, dann hinauf. Um den Hals den Strick schaukelt er hin und her und dreht sich leicht im Wind. Der Geruch.

 

Ich muss wen anrufen.

 

Ich dreh mich weg. Das Handy hat einen guten Empfang, der Notruf kostet nichts, die sind alphabetisch geordnet, die Polizei in der Mitte, das weiß ich. Das nächste Wachzimmer ist zuständig, aber das kenne ich nicht, so schicken sie jemand, ich muss warten. Nichts angreifen.

 

Ich spüre es hinten im Rücken, ich drehe mich um. Ich soll am Weg warten, wegen dem Finden, aber ich kann nicht weg. Ich gehe aus dem Wind, trotzdem ist der Geruch.

 

Er dreht sich mir zu, dann wieder weg. Es knarren die Äste im Wind. Er ist gar nicht blau im Gesicht, und die Zunge hängt nicht heraus. Genickbruch. Fahles Gelbgrün, wie altes Eiter, er muss schon ein paar Tage hängen. Der Hund sitzt da und schaut. Dann hört er was und ist weg.

 

Vorne an der Hose und oben die Hosenbeine runter der Fleck ist trocken, es sind Ränder und es schaut hart aus. Die Jacke ist verrutscht und von den Vögeln angeschissen, auf der einen Seite ist ein Loch im Hemd. Zwischen Schulter und Hals, zwischen den Knochen, das Fleisch. Wie bei der einen Wange und beim Ohr. Da hängen so Fetzen herunter. Auf der anderen Seite die Haare sind so lang, dass sie über die Glatze reichen, ein paar picken noch oben. Da war einmal ein Scheitel.

 

Der eine Hemdzipfel hängt aus der Hose. Die Augen sind zu. Die Hände an den Knöcheln weiß, die Totenflecken, die Finger. Über dem Schuhrand schwarze Socken, im Profil pickt Dreck. Der Hund bellt. Ich höre eine Stimme rufen, keine Antwort, ich kann nichts sagen. Vereinzelt frühe Fliegen.

 

Die Schlinge ist wie aus dem Western. An den Händen und Fingern Kratzer, aufgesprungen. An der Jacke ist ein dunkler Fleck, verwischt. Am Ast oben der Strick ist drei mal herum, ein fester Knoten.

 

Es dauert jetzt schon lange.

 

Ich höre gar nichts mehr, es surrt im Kopf. Schönes Wetter, die Tage werden länger, die gelben Blumen, Frühlingsboten, leichter Wind, es ist warm. Der Hund ist da und setzt sich wieder hin. Ich höre Schritte, der Mann mit Leine und Schal um redet was, endlich kann ich speiben.

 

Dann ist mir leichter. Ich wisch mich ab, ein paar Flecken auf der Hose, das Frühstück im Laub. Zurück zum Weg, da kann ich schon selber gehen. Der Mann mit Leine und Schal um fragt mich dauernd, der Hund läuft neben her und schaut uns an. Am Weg setz ich mich auf den Boden. Die Schuhe sind dreckig.

 

Die Krähen. Der Herzschlag und surren im Kopf. Das Fahrrad blitzt in der Sonne, die blendet.

 

Ein Auto. Das bleibt stehen, eine Autotür wird zugeschlagen, dann steht ein Rettungsfahrer da. Ich stehe auf und putz den Hosenboden ab, auch die Schuhe wie es halt geht. Ich bin in Ordnung. Der zweite Rettungsfahrer ist auch ausgestiegen. Nein, der ist schon lange tot, so schalten sie das Blaulicht aus. Wir warten auf die Polizei.

 

Die kommt, dann ist plötzlich alles sehr geschäftig. Der Mann ohne Leine und mit Schal um geht mit den Rettungsfahrern und dem einen Polizisten hinter die Büsche und Bäume. Ich gehe nicht, ich sitze im Rettungsauto, auf der Seite mit der Schiebetür. Der Hund sitzt auch da, er hat nicht mitgehen dürfen, so halte ich die Leine. Der andere Polizist macht ein Absperrband an die Büsche und hält die Leute auf.

 

Manchmal der Wind, es ist jetzt richtig warm. Noch zwei Autos kommen, eines mit dem Sarg, die verschwinden damit hinter die Büsche und Bäume, die mit den Alukoffern hinterher. Es wird gefragt und aufgeschrieben, es ist so laut wie es vorher ruhig war. Es dauert lang und viele Leute stehn herum, die Jacken offen. Alle müssen reden.

 

Die hinter den Büschen und Bäumen kommen, nicht alle, die mit den Alukoffern fehlen noch, auch der eine Polizist. Sie schnaufen. Jetzt weiß man auch den Namen. Vom Flughafen grollen die Draken.

 

Durch die Leute, der Sarg wird eingeladen. Beim Umdrehen bleibt der Wagen stecken, da helfen alle mit, obwohl sie dreckig werden, es ist sowas wie Stimmung. Die Rettungsfahrer kümmern sich um mich. Ich will nicht mitfahren und ich brauche auch nichts. Sie steigen ein und fahren weg. Sie bleiben nicht stecken, sie haben aufgepasst. Ich geb den Hund zurück und steh herum.

 

Dann ist alles aufgeschrieben, wir sind fertig, nur hinkommen zum Unterschreiben muss ich noch. Der Mann mit Hund an der Leine und Schal um steht jetzt bei den Leuten. Jemand macht ein Foto mit dem Hund, für die Zeitung. Es ist ein neuer Auflauf.

 

Mich fragt keiner was, so kann ich gehen. Ich sperre das Rad auf und schiebe es durch die Leute, auf dem Polizeiauto das Blaulicht dreht sich noch. Dann sind keine Leute mehr, ich kann fahren.

 

Auf dem Heimweg die Stille. Der Fahrtwind in den Ohren und im Kopf surrt es, nicht mehr so viel.

 

Zurück ist es viel weiter. Dann die Geleise. Vorn der Schrottplatz, drüben der Schlachthof, Häuteverladestelle. Ein leichter Wind, der Geruch.

 

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