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27.08.2014

Titelhauptstadt ohne Gedächtnis
Politische Raumordnung in Graz (Offener Brief zu ‚63 Jahre danach’ von Jochen Gerz)

 

Diese Stadt ist eine Behauptung, eine Vorstellung, eine Suggestion. Im Taumel dessen, was Graz schon alles war (und vorgibt, zu sein), wird meist nur die Bewegung fallender Maskierungen sichtbar. Die Menschenrechtsstadt liebt die Armen, wenn sie unsichtbar bleiben (siehe Bettelverbot). Die Kulturhauptstadt liebt ihre Kunst (im öffentlichen Raum), wenn diese wieder verschwindet. Der Blick auf die Realität und die historischen TATsachen wird vom Bild einer Stadt verstellt, die die politischen Akteure von ÖVFPÖ in ihrer Abgehobenheit designen. Eine Stadt mit Verboten und Einschränkungen, bereinigt und ohne Gedächtnis.

 

So werden die Gedenkstelen von Jochen Gerz, die uns an den Naziterror in des Führers „Stadt der Volkserhebung“ erinnern sollen, aus dem Stadtbild entfernt. Und das, wie der zuständige Stadtrat Mario Eustacchio meint, vollkommen zurecht: „Aus Behörden-Sicht ist eine weitere Verlängerung der ausdrücklich nur als temporäre Aktion genehmigten Installation ‚63 Jahre danach’ nicht mehr möglich. *1)

 

Man spielt Erinnerungskultur, indem man sie in zeitliche Befristungen zwingt – Erinnerung nur bis zum … geeignet. Aber: was an Naziterror in Stadt und Land verbrochen wurde, lässt sich nicht in bürokratische Dimensionen zwingen. Schon gar nicht von Proponenten einer Partei, die ihre programmierten „Naziversprecher“ regelmäßig ins Volk wuchten, um ihre individuelle Geschichtsschreibung zu betreiben.

 

Die politische Praxis, die eigene Vorstellung von Stadt als für Alle gültige zu setzen, wird auch hier angewandt: die eigene Erinnerung wird über das kollektive Gedächtnis gestellt, die eigenen Erinnerungslücken als behübschte Leerstellen im Stadtbild verankert.

 

Und, wie immer, wenn‘s ans Eingemachte geht, verstecken sich die Verantwortlichen hinter Sachzwängen: Der Bürgermeister entzieht sich seiner politischen Verantwortung, indem er hinter der Aktenlage in Deckung geht und die Regierungs-Loyalität zum FP-Stadtrat zur Ultima Ratio des politischen Handelns erklärt. Und der zuständige Stadtrat kann aus „Behördensicht“ keine eigene Meinung äußern und versteckt sich hinter seinen Beamt/innen, die als Ausführende seinen politischen Standpunkt vertreten müssen.

 

Diese Art des politischen Handelns kommt einem „Befehlsnotstand“ gleich und wirft die Frage auf, wer hier eigentlich wem gegenüber verantwortlich ist (sicherlich nicht jenen 5000 Menschen gegenüber, die an diesem Projekt aktiv mitgewirkt haben).


Zukunftsscenario / Lex Eustacchio:
• Dem Bescheid zur Demontage wird nicht Folge geleistet.
• Das Straßen- und Brückenbauamt, in pflichtgetreuer Erfüllung des eigenen Bescheides, demontiert die Stelen und lagert diese ein.
• Es erfolgt die Forderung nach Wiederherstellung an den selben Orten (die obskure Idee einer Neupositionierung an einem anderen Ort (vielleicht gar im Schatten des Uhrturm-Schattens in der Shopping-City-Seiersberg?) würde die Bezüglichkeit von Inhalt und Ort völlig auflösen und damit das Kunstwerk zerstören). Ergänzend dazu werden Tafeln aufgestellt, die die Entfernung als politisch motivierten Akt dokumentieren.

 

Leo Kreisel-Strausz, Albert Pall


*1) „Bereits viermal seit der Erstaufstellung 2010 wurde die Aufstellungsgenehmigung der Installationen des Künstlers verlängert – die Kunstobjekte mit den 7 Aufstellungsorten in der Grazer Innenstadt waren vom Straßenamt aber ausdrücklich nur als temporäre Aktionen genehmigt worden. Eine weitere Verlängerung der nur temporär genehmigten Installationen ist fachlich nun aber nicht mehr argumentierbar“, so der zuständige Stadtsenatsreferent Mario Eustacchio. (Quelle: (Seite nicht mehr verfügbar)

 

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