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09 - die zeugin

http://www.kunstradio.at/2005A/08_05_05.html
gesendet am 08.05.2005 23:05 Uhr auf ORF - Ö1 - Kunstradio
Sprecherin: Marian Schönwiese / Tontechnik: Oliver Kaiser

 

 

Es ist eine lange Strecke. Zweimal in der Woche hin und zurück. Aber was soll sie machen ohne mich. Nebel, manchmal Regen. Finster ist es auch schon wieder. Und kalt. Im Auto ist es warm. Hinten liegt der Hund und schläft. Den hab ich mitnehmen müssen, sie schafft es nicht mehr. Futter schleppen, Gassi gehen. Der Hund ist groß. Die Kinder werden sich freuen, er auch. Ich mag ihn nicht. Er stinkt. Jetzt auch, er ist nass. Der Regen.

 

Und die Haare. Ich hab so schon genug zu putzen, das Haus und die ganze andere Arbeit. Und dann zu ihr. Was soll ich machen, sie ist alt. Zu uns will sie auch nicht. Da kennt sie niemanden, sagt sie. So ist sie halt daheim. Verstehe ich. So lange es halt geht.

 

Die Kinder. Sind schon groß. Das ist schnell gegangen. Mit dem Hausbau und dem anderen, da verfliegt die Zeit. Wenn sie wenigstens lernen täten. Aber da hilft kein Reden. Ins Heim kommt sie mir nicht. Mit ihrer Pension können wir uns das nicht leisten. Das Haus ist auch zu zahlen. Und das Auto. Seit ich daheim bin, ist das schwer. In der Firma steht es auch nicht gut. Obwohl er schon so lang dabei ist.

 

Es regnet wieder. Das ist ein Wetter. Trotzdem ist es überall zu trocken. Dem Nachbarn ist der Brunnen ausgetrocknet. Wir haben Wasserleitung. Und Kanal. Einen Brunnen haben wir auch. Aber darauf will ich mich nicht verlassen. Das hab ich beim Bauen schon gesagt. Und wer weiß, was das für ein Wasser ist. Das muss man dauernd messen lassen. Dann schon lieber so.

 

Wenn es nicht mehr geht, kommt sie zu uns. Das ist das Beste. Da hat sie ein schönes Zimmer unten, und auf sie schauen kann ich auch. Ist nicht so viel Arbeit. Ihre Wohnung. Und die Fahrerei. Die Kinder werden sich freuen. Sie auch. Die sehen sich eh zu selten. Wer weiß, wie lange es noch geht. Müde bin ich. Ist kein Wunder.

 

Die werden schon schlafen, wenn ich heimkomm. Ist wieder spät geworden. Mit wem soll sie schon reden. Die sterben alle weg. Ich hör immer nur, der ist jetzt auch gestorben. Und die Namen. Als ob ich mich erinnern könnte. An manche schon. Aber ich bin jetzt auch schon lange weg. Und die sehe ich dann halt auch nicht. Da hab ich keine Zeit. Sie sagt immer, dass die alle fragen. Wie es mir geht, und den Kindern. Wenn ich mit den Kindern komme, ist es anders. Was weiß ich, warum.

 

Der Hund wird wach. Jetzt muss er sicher wieder. Er streckt sich und gähnt. Ich sehe es im Rückspiegel. Er bellt. Er muss. Weiter vorne ist ein Parkplatz, da kann er dann. Ich sage es ihm, er muss warten. Er kennt das schon. Er ist schon öfter mitgefahren. Er schüttelt sich. Wieder alles saugen.

 

Der Parkplatz. Der Hund hat es eilig, also bleibe ich gleich stehen. Weiter vorne ein Auto. Noch weiter vorne steigt gerade einer ein und fährt weg. Er ist groß. Ich mache hinten auf und nehm den Hund. Die Leine, wegen der Autobahn. Es ist kalt und feucht. Normal zieht er mich gleich zum nächsten Grasflecken, aber er will da vorne hin zum Auto. Er hat etwas gerochen, er ist nervös. Ich lass ihn ziehen. 

 

Beim Auto vorbei seh ich ein Schild, da sind zwei. Noch näher, ein Mann und eine Frau. Sie lehnen unten an den Stangen. Es ist nicht hell, so dauert es, bis ich es sehe. Es ist alles voller Blut. Ihr Gewand ist heruntergerissen. Die sind tot.

 

Der Hund bellt, merke ich, er reißt an der Leine. Da kann man nicht mehr helfen. Nichts angreifen, die Polizei. Der Hund muss weg. Ich ziehe ihn zurück zum Auto und sperr ihn hinten ein, da kann er bellen. Das Telefon. Anrufen. Ich soll mich beruhigen, sagt der, er kann mich nicht verstehen. Ich sage alles noch einmal. Ich soll zurückgehen und ihm alles genau sagen, sagt er. So gehe ich zurück.

 

Ich stehe neben dem anderen Auto und schaue hin. Ich sage alles noch einmal. Und wo genau das ist. Er tut so, als ob er mich beruhigen könnte. Sie kommen gleich, nichts angreifen, ich soll warten. Als ob ich jetzt fahren könnte. Auf dem Schild steht Ablagerungen verboten, sehe ich.

 

Neben mir geht die Tür vom Auto auf, ich schrecke mich. Ein Kind. Es schaut verschlafen. Das Bellen vom Hund, denke ich. Es streckt die Hände aus, so nehme ich es hoch. Das müssen die Eltern sein. Ich gehe hin und her mit dem Kind auf dem Arm. Ich will nicht, aber ich komme näher. Ich sehe die Schnitte auf dem Körper, unter ihrer Brust. Die Beine sind auseinander. Der Mann ist vorne voller Blut. Ich merke, dass ich drin steh, der Regen. Jetzt regnet es nicht mehr.

 

Das Kind soll das nicht sehen. Ich dreh den Kopf weg, aber es will nicht. Ich gehe weg. Ich putz die Schuhe ab im nassen Gras. Die Polizei soll kommen. Es dauert. Warten. Ich gehe hin und her. Ich gehe vorbei und wieder zurück. Mit Klebeband angebunden, sein Kopf mit Draht. Ich gehe ums Blut herum. Da liegt ein Messer.

 

Ich soll zu meinem Auto gehen. Der Hund bellt nicht mehr. Der hat sicher hinten reingemacht. Putzen. Das Kind ist ruhig. Ich denke, es schläft, aber die Augen sind offen. Ich gehe zum anderen Wagen und lehn mich an. Von den Schuhen vom Kind ist sowieso schon alles schmutzig. Ich kann das nicht mehr sehen, aber es ist vor den Augen. Auch wenn ich wegschau.

 

Das Martinshorn. Es kommt schnell näher, dann sind sie da. Ich winke, sie bleiben gleich stehen. Drei Autos, das Blaulicht, die Scheinwerfer. Ich muss mich umdrehen und sehe alles, jetzt ist es da ganz hell. Einer kommt zu mir und zieht mich weg. Die andern rennen hin. Ich setz mich zum einen in das Auto, ein Bus. Wir sitzen hinten, die Tür ist offen. Von vorne schreit einer Rettung. Es dauert, bis ich alles sagen kann, das Kind sitzt ruhig auf meinem Schoß. Ich soll mich beruhigen, sagt der Polizist.

 

Er erklärt, dass es wichtig ist, dass ich mich jetzt genau erinnern kann. Wenn es schnell geht, werden sie ihn erwischen. Im Sitzen geht es besser. Ich merke, dass ich nicht mehr zittere. Ich sage das vom Auto, das weggefahren ist, und wie der Mann ausschaut. Und das Auto. Er fragt öfter, ob ich mir sicher bin. Ich bin mir sicher, ich habe es gesehen. Er funkt. Er sagt, sie werden ihn erwischen. Er fragt, ob es mir besser geht. Er fragt, wie das Kind heißt. Erst versteht er nicht, dass es nicht meines ist. Dann schon. Man muss alles öfter sagen. Er funkt wieder.

 

Dann fragt er, ob ich mitfahren kann, es kann jetzt niemand kommen für das Kind. Und dass es besser ist mit einer Frau. Sie sind alle Männer. Und ich soll auch zum Arzt. Ich sage, ich hab den Hund im Auto und er sagt, da fährt dann ein Kollege. Mit dem Hund. So sag ich ja. Es kommen noch Autos, sehe ich, auch die Rettung.

 

Wir gehen zu einem anderen Wagen und steigen ein. Wir sitzen hinten. Der Polizist bespricht sich noch, dann steigt er auch ein. Die Autoschlüssel, fällt mir ein. Ich gebe ihm die Autoschlüssel. Er steigt aus, dann ist er wieder da. Es dauert, bis wir uns durchgezwängt haben, es sind viele Leute da. Ich schaue nicht mehr hin. Dann endlich fahren. Das Kind sitzt da. Wir müssen bis zur nächsten Abfahrt, dann zurück. Das Blaulicht aus. Es ist finster, nur vorne ist es hell.

 

Was der Hund wohl macht. Hinten rein. Vorne die Stadt, jetzt ist nicht viel Verkehr. Bei der Polizei ist ein Schranken, dann fahren wir in den Hof. Ich nehm das Kind, wir gehen die Stiegen hinauf. Es riecht muffig, die Farbe an den Wänden, der Hall. Wir müssen zum Psychiater, wegen dem Kind. Von der Fürsorge ist noch keiner auf, sagt der Polizist. Aber sie haben angerufen.

 

Der Psychiater macht die Tür auf. Er ist groß. Wir gehen zwei Schritte in das Zimmer. Es ist hässlich. Ich stell das Kind auf den Boden. Der Psychiater geht in die Knie und schaut es an. Das Kind schaut ihn an und dann ins Zimmer. Es ist ganz ruhig. Dann geht es zur Kinderecke und setzt sich hin. Der Polizist sagt, wir sollen jetzt hinübergehen. Sonst sagt keiner was.

 

Wir gehen hinüber. Die sind in Zivil. Ich setz mich hin. Einer fragt mich, ob ich Kaffee mag oder lieber Tee. Kaffee. Dann muss ich rauchen. Weil ich aufgehört hab, hab ich keine. Ich bekomme welche. Einer holt einen Aschenbecher. Dann die Fragen. Alles ganz genau. Und dann wieder. Die können besser reden. Dann noch Kaffee und Zigaretten, bis alles fertig ist. Ob es mir gut geht, fragt einer. Ich hab es nicht mehr eilig, ich kann warten. Draußen wird es heller, man hört schon was. Die Vögel. Und Verkehr. Aber wenig.

 

Mein Auto ist jetzt da, und der Hund. Ob sie ihn heraufbringen sollen. Ich will heim, so gehen wir hinunter. Ich krieg den Schlüssel, dann zum Wagen. Hinten der Hund, er winselt. Es ist sicher alles voll. Der Polizist grüßt, ich steige ein und fahre. Das Fenster auf. Der Mann am Schranken winkt, so winke ich zurück. Durch die Stadt. Es ist hell. Nicht über die Autobahn, Bundesstraße.

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