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01 - herztod

http://kunstradio.at/2004A/11_01_04.html
gesendet am 11.01.2004 23:05 Uhr auf ORF - Ö1 - Kunstradio
Sprecher: Dieter Dorner / Tontechnik: Michael Zenz

 

 

Drüben vor dem Geschäft ist ein Mann umgefallen. Ganz langsam. Eine Hand vor der Brust, die andere, die linke, so halbhoch zitternd in den Himmel gestreckt. Zuerst auf die Knie, dann ist er ganz unpathetisch einfach auf die Seite gekippt.

 

Da liegt er. Niemand hat etwas bemerkt. Ich habe es zufällig gesehen, zwischen zwei Sätzen schaue ich auf, aus dem Fenster, ein Mann fällt um.

 

Eine Frau schiebt einen Kinderwagen, an einer Hand zerrt sie ein plärrendes Kind hinter sich her. Das Kind wird still, kann ich sehen. Es schaut auf den Mann, lässt sich von der Frau davonziehen.

 

Das Geschäft hat geöffnet. Autos fahren vorbei.

 

Anscheinend ist eine Straßenbahn gekommen, ein Trupp Leute verstreut sich, einige gehen an dem Mann vorbei. Einer beugt sich hinunter, eine Frau mit Lodenmantel (und Hut auf) schimpft. Der Eine zupft an dem Mann, richtet sich auf und sagt etwas zu der Frau mit Lodenmantel (und Hut auf). Die Frau geht in das Geschäft, der Eine steht etwas herum, geht weg.

 

Ein Mann mit zwei Plastiksäcken kommt aus dem Geschäft. Er sieht den Liegenden, auf ihn niederblickend geht er vorbei zu seinem Auto, er sperrt den Kofferraum auf und stellt die Plastiksäcke hinein. Er schaut auf den Liegenden, dann in das Geschäft. Ich sehe das Hirn arbeiten. Entschlossen drückt er den Kofferraumdeckel zu, steigt ein, fährt weg.

 

Es ist sehr schönes Wetter und warm, einige Wolken machen ab und zu Schatten. An den Ästen der Bäume erkennt man leichten Wind. Die Bäume haben schon lichtgrüne Blätter, der Winter ist vorbei. Auch das Gras sprießt. Die Thujen um das Steintierkunstwerk sind bis in Kniehöhe braun, „von der Hundepisse“, sagt der Hausmeister.

 

Ein Radfahrer fährt einkaufen. Es gibt einen Radständer vor dem Geschäft, dort stellt er sein Fahrzeug ab. Er sieht den Mann auf dem Boden, bückt sich und greift dem Liegenden an den Hals. Er richtet sich auf und eilt in das Geschäft.

 

Es ist so still, dass man die Vögel hört.

 

Ein Mopedfahrer kommt wieder vorbei.

 

Der Radfahrer und ein Mann mit einem weißen Arbeitsmantel kommen aus dem Geschäft. Der Radfahrer zeigt auf den Liegenden. Der Mann mit dem weißen Arbeitsmantel nickt heftig und eilt in das Geschäft zurück, der Radfahrer steht neben dem Liegenden.

 

Die Frau mit Lodenmantel (und Hut auf) kommt mit dem Mann mit dem weißen Arbeitsmantel aus dem Geschäft, sie hat einen Plastiksack in der Hand. Sie stehen zu dritt bei dem Liegenden.

 

Die Eierfrau kommt. Sie stellt ihren Verkaufswagen auf den Platz. Bei ihr bekommt man Eier und alles vom Huhn, auch gefrorene Suppe, es ist Dienstag. Ich kaufe manchmal bei ihr ein, dazu bekomme ich die Neuigkeiten. Sie kennt alle Leute und merkt sich alles; ich kenne meine Nachbarn nicht persönlich. Auch der Hausmeister kennt nicht alle Mieter.

 

Die Polizei kommt mit Blaulicht ohne Sirene. Mittlerweile stehen mehr Leute bei dem Liegenden herum. Die Polizisten steigen aus und gehen zu dem Mann mit dem weißen Arbeitsmantel. Der zeigt auf den Liegenden und dann auf den Radfahrer. Die Polizisten reden kurz mit dem Radfahrer, dann geht einer zum Auto und telefoniert. Die Autotür ist offen, die Füße schauen heraus. Der andere Polizist holt etwas zum Schreiben und ein Büchel aus der Brusttasche. Er redet mit dem Radfahrer.

 

Die Frau mit Lodenmantel (und Hut auf) steht jetzt mit einer anderen Frau (mit Schürze um) und einem älteren Mann (mit Hut auf) bei der Eierfrau.

 

Drüben stehen jetzt viele Leute. Der eine Polizist steigt aus dem Auto und deutet den Leuten, man hört ihn direkt „Etwas zurücktreten“ sagen. Die Leute treten etwas zurück, sodass ich sehen kann, dass der andere Polizist immer noch schreibt. Er sagt etwas zum Einen, der bückt sich zum Liegenden, greift ihm ins Sakko, dann in die Gesäßtasche. Er zieht etwas heraus und gibt es dem schreibenden Polizisten. Dann redet er mit den Leuten, die herumstehen. Ich sehe Köpfe schütteln hin und her.

 

Bei der Eierfrau ist jetzt auch Versammlung, der Hausmeister hat sich eingefunden.

 

Ich kann nichts hören, aber die Stille ist vorbei.

 

Der Radfahrer steckt sich eine Zigarette in den Mund, der Mann mit dem weißen Arbeitsmantel gibt umständlich Feuer, es geht Wind.

 

Ein Abschleppwagen fährt langsam an der Aufregung vorbei. Der Fahrer hat das Fenster heruntergekurbelt und schaut nicht auf die Straße. Anderen Autofahrern geht es ebenso.

 

Die Frau mit dem Kinderwagen kommt. Das Kind sitzt auf ihren Schultern und hält sich am Kopf fest, sie bleiben bei der Eierfrauversammlung stehen. Die Frau mit Lodenmantel (und Hut auf) grüßt schön, deutet auf die Versammlung vor dem Geschäft, redet.

 

Ein Notarztwagen kommt schnell. Ein weißer Mann und eine weiße Frau springen aus dem Auto und drängen sich durch die Leute. Die weiße Frau kniet sich hin und tut am Liegenden herum, der eine Polizist redet mit dem weißen Mann. Es dauert nicht sehr lange. Die weiße Frau redet mit dem weißen Mann, ein anderer weißer Mann ist aus dem Notarztwagen geklettert und gesellt sich zu den anderen. Das Blaulicht kreist.

 

Die weißen Leute reden miteinander und gehen zum Auto zurück. Der eine Polizist greift der weißen Frau von hinten an die Schulter, sie dreht sich um. Der Polizist deutet auf den Liegenden, die weiße Frau schüttelt den Kopf. Der Polizist redet heftiger, die weiße Frau auch. Alle hören aufmerksam zu.

 

Der Polizist schimpft, die weiße Frau schüttelt den Kopf, erklärt mit den Händen, der Polizist schickt seinen Kollegen zum Auto, die weiße Frau einen weißen Mann. Sie sitzen in ihren Autos und telefonieren, die Türen sind offen. Die anderen stehen einander unfreundlich gegenüber.

 

Der weiße Mann vom Notarztwagen geht zum Polizeiauto und schüttelt den Kopf, er erklärt dem Polizisten. Der telefoniert dann weiter. Der weiße Mann geht zu seinen Kollegen, er sagt etwas. Sie gehen zum Notarztwagen, steigen ein und fahren weg. Das Blaulicht ist aus.

 

Die stille Spannung der Leute löst sich, sie wenden sich einander zu. Die Frau mit Lodenmantel (und Hut auf) schimpft laut, ich kann sie hören. Der ältere Mann (mit Hut auf) isst etwas, die Frau (mit Schürze um) redet auf ihn ein. Die Frau mit Kinderwagen und dem Kind auf den Schultern geht weg. Der Abschleppwagen rollt in einer Kolonne anderer Autos zäh dahin, sodass der eine Polizist Beeilung winkt. Er ist verärgert.

 

Der andere Polizist steigt aus dem Auto und holt aus dem Kofferraum etwas wie eine Plane, es ist schwarz oder dunkelgrau, es glänzt nicht. Er geht zu dem Liegenden und deckt ihn zu. Die Polizisten reden miteinander, dann geht der eine zum Auto und fährt weg. Das Blaulicht dreht sich. Der andere steht bei dem Zugedeckten.

 

Die Leute gehen. Einige an den Fenstern schauen weiter.

 

Der Radfahrer kommt mit einem Plastiksack aus dem Geschäft, der Mann mit dem weißen Arbeitsmantel sieht ihm durch die zufallende Tür nach. Der Radfahrer stellt den Plastiksack in den Korb auf dem Gepäckträger, er redet mit dem Polizisten, die Hände an der Lenkstange. Dann nickt er und fährt weg.

 

Ein Mopedfahrer kommt wieder vorbei.

 

Bei der Eierfrau brauchen die Leute heute etwas länger.

 

Der Polizist setzt sich auf den Kotflügel eines Autos, das jetzt neben dem Zugedeckten steht. Er nimmt die Mütze vom Kopf und wischt sich die Stirn, dann legt er die Mütze auf die Kühlerhaube. Er verschränkt die Arme vor der Brust.

 

Mehrere Fenster werden geschlossen.

 

Der Mopedfahrer geht einkaufen.

 

Ab und zu kommen Leute. Der Polizist sagt etwas, dann schauen die Leute noch einmal auf die Plane. Sie gehen weiter oder in das Geschäft, Schritt verhalten machen alle.

 

Der Mann mit dem weißen Arbeitsmantel begleitet heute alle bis zur Tür. Einmal bringt er dem Polizisten eine Dose Cola, sie plaudern privat.

 

Die Bäume kriegen lange Schatten. Es muss jetzt kälter sein, der Wind geht jetzt mehr durch die Äste, und die Leute machen die Jacken zu.

 

Ein dunkelgrauer Wagen kommt. Zwei Männer mit Uniform (und Mütze auf) steigen aus. Sie gehen nach hinten und öffnen die Heckklappe, der Polizist redet ihnen etwas zu. Der Sarg glänzt im flachen Sonnenlicht. Die beiden Männer stellen ihn neben den Zugedeckten, dann nehmen sie den Deckel ab. Der Mann mit dem weißen Arbeitsmantel ist aus dem Geschäft gekommen und schaut zu. Der Polizist nimmt die Plane vom Zugedeckten und faltet sie zusammen. Die beiden Männer mit Uniform (und Mütze auf) legen den Liegenden in den Sarg und machen den Deckel darauf. An den Fenstern bewegen sich Vorhänge.

 

Ein Hund (mit Mann an der Leine) brunzt an die Thujen.

 

Die beiden Männer schieben den Sarg hinten in das graue Auto, sie machen die Klappe zu. Der eine setzt sich hinter das Lenkrad und gibt dem anderen eine Mappe. Dieser redet mit dem Polizisten, während der die gefaltete Plane zu seiner Mütze auf die Kühlerhaube legt. Der Polizist unterschreibt einen Zettel und bekommt einen anderen in die Hand. Der wird gefaltet und in das Büchel in der Brusttasche gesteckt. Das graue Auto fährt weg.

 

Der Hund hat jetzt geschissen und reibt sich den Hintern im Gras, er hat Würmer. Der Mann an der Leine raucht. Der Polizist setzt die Mütze auf und raucht auch.

 

Der Radfahrer grüßt im Vorbeifahren.

 

Der Mopedfahrer kommt mit einem Plastiksack aus dem Geschäft. Er fährt laut weg.

 

Es ist wieder still. Der Hund (mit Mann an der Leine) geht.

 

Bei der Eierfrau steht niemand.

 

Ein Polizeiauto kommt. Der Polizist nimmt die Plane, legt sie in den Kofferraum. Er steigt in das Auto und fährt mit weg.

 

Ich zünde eine neue Zigarette an, das Papier steht gerade in der Schreibmaschine.

 

Die Nachbarin duscht.

 

Ich gehe zur Eierfrau und erfahre die Neuigkeit.

 

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