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10 - der mann

http://www.kunstradio.at/2005A/10_07_05.html
gesendet am 10.07.2005  23:05 Uhr auf ORF - Ö1 - Kunstradio
Sprecher: Eberhard Forcher / Tontechnik: Karl Kosz

 

 

Ich habe es kaum gespürt. Das An-den-Haaren-Reißen schon, das hat mir weh getan. Ich hab ja kaum noch welche. An den Haaren und den Kopf zurückgerissen. Ich schlage hinten an die Stange. Der Draht ist um den Hals. Die Haut platzt auf. Der Schmerz. Der kleine Schmerz so laut im Kopf. Dann das Messer. Das hab ich kaum gespürt. Nur die Angst. Sie schaut uns zu. Sie muss. Sie schaut entsetzlich aus, das tut weh. Der Schmerz. Wir schreien nicht.

 

Wir haben gestritten. Nicht wegen dem Kind. Dem anderen Kind. Die Kleine hinten schläft. Die schläft sowieso beim Autofahren. Wenn sie daheim nicht schlafen kann, dann ab ins Auto und einmal um den Block. Dann schläft sie. Sie merkt es gar nicht, wenn ich sie hinauftrag und ins Bett leg. Kein Mucks. Andere Kinder werden richtig munter, sie schläft.

 

Das andere Kind. Ich war bei der Geburt dabei. Ich kann nichts dafür, dass es gestorben ist. Es ist tot herausgekommen. Das Gesicht war blau. Die Nabelschnur. Vorher war das Herz zu hören. Die Ärztin hat gesagt, dass das schon vorkommt. Es ist selten. Es kommt vor. Es kann niemand was dafür. Man hat es vorher nicht gesehn. Keine Schuld. Wir haben geweint. Jeder für sich.

 

Ein Bub wär es geworden. Die Kleine hat sich schon gefreut. Die Kleine. Sie sitzt im Auto. Sie schläft. Er hat sie nicht gesehen. Er kann sie nicht gesehen haben. Er hätte was gemacht. Er will uns quälen. Er quält uns. Wir schreien nicht. Sie wacht nicht auf. Es ist dunkel, er sieht sie nicht im Auto.

 

Das Kind. Sieben Monate ist das schon her. Ein Tag und dann der andere. Jeden Tag dran denken. Denken müssen. Für sie ist das sehr schwer. Schwerer als für mich. Ich hab mich abgefunden. Ich hab das müssen. Es muss weitergehen. Ich muss arbeiten. Ich muss sorgen. Ich muss für die Kleine sorgen. Und für sie. Für uns.

 

Das Begräbnis. Der kleine Sarg. Als ob es gar nichts wäre. Gewesen wäre. Das können sie, dort beim Begräbnis. Dass es richtig weh tut. Abschied nehmen, sagen sie, am Grab. Als ob das gehen würde. Trotzdem muss es. Es muss weitergehen. Und immer wieder schauen, dass sie keine Babys sieht, keine Kinder. Oder eine Frau, die grad eins kriegt. Dann weint sie wieder. Die Nerven. Meine liegen auch schon blank. Die Arbeit. Das ist auch nicht leichter, wenn man keine Freude hat. Und dann nach Hause. Aber keine Therapie. Da geht sie nicht hin. Nicht mit mir. Und alleine kann ich nicht. Dann bin ich schuld.

 

Er steht neben ihr und schaut zu mir her, wie es herausrinnt. Vorne bin ich ganz nass. Auf dem Asphalt spür ich die Lacke, es ist kalt. In die Augen ist es auch gespritzt, ich sehe schlecht. Es geht nicht wegzuwischen, die Hände sind hinten an die Stange angebunden. Klebeband. Es spritzt und rinnt. Ich kriege keine Luft. Ich hör die Blasen platzen an der Gurgel. Dort am Hals. Ich weiß es nicht. Und das Pfeifen, wenn ich atme. Es kann nicht lange dauern.

 

Wir streiten immer. Nicht wegen dem Kind. Da wird kein Wort gesprochen. Trotzdem ist der Vorwurf immer da. Der Blick. Den halte ich nicht aus. Leise streiten. Wegen der Kleinen. Wenn sie schläft, damit sie nicht aufwacht. Wenn sie wach ist, damit sie es nicht merkt. Natürlich hat sie es bemerkt. Aber sie sagt nichts. Sie will nicht weh tun. Sie ist sehr aufmerksam. In diesem Alter schon. Sie hat es nicht bemerkt. Oder schon. Sie sagt es nicht. Die Stille. Leise streiten. Wer kann das schon. Da bin ich nicht geeignet. Ich bin kurz laut. Aber dann ist es vorbei. Vergeben und vergessen.

 

Nicht bei ihr. Die Stille. Wie das dauert. Da muss ich warten. Ich muss mich dann beherrschen. Weil, wenn es länger dauert, kommt der Zorn, also beherrschen. Das stehen wir gemeinsam durch. Das kann uns nicht mehr trennen.

 

Ich schau ihn an, und dann sie. Ihr Gesicht, es ist zerschlagen. Voller Blut. Blut ist überall. Im Dunkeln ist es schwarz. Wirklich ist es rot. Der Schmerz, ich kann es sehen. Bei mir nicht. Ich bin müde. Es tut schon weh, aber fühlen tu ich’s nicht. Die Augen fallen immer zu. Augen auf, die Augen müssen offen bleiben. Ich kann nicht sprechen. Es pfeift nur. In den Ohren Rauschen. Und das Pochen. Ich weiß, das ist vom Herz. Ich halt die Augen offen. Lange geht das nicht.

 

Urlaub, hat mein Arzt gesagt. Fahren sie weg, sie müssen raus. Urlaub. Da waren wir am Meer. Ich bin mit der Kleinen raus, weg von dem Hotel. Zum Strand. Sie die ganze Zeit im Zimmer. Da war kein Meer. Dann bin ich mit der Kleinen weg zurück nachhaus. Sie ist noch geblieben. Ich hab gedacht, vielleicht kann es ihr helfen. Wenn sie uns nicht immer sehen muss. Alleine etwas unternehmen. Spazieren gehen. Es hat dann nichts genützt.

 

Es ist die Zeit vergangen. Es hat sich nichts geändert. Jetzt fahren wir. Diesmal mit dem Auto. Die Familie mit dem Flugzeug, das ist zu teuer für zweimal im Jahr. Nicht weit weg. Dorthin, wo es anders ist. Ruhiger. Die Berge. Wir drei. Es hilft vielleicht. Vielleicht diesmal. Wir steigen in das Auto. Sie freuen sich. Ich bin müde nach der Arbeit. Mit dem Urlaub war es nicht leicht. Aber der Chef hat auch gesagt, ihr müsst jetzt weg. Nicht mehr daran denken müssen. Er hat das auch erlebt. Er weiß, dass es nicht leicht ist. Das macht es leichter.

 

Er hat sie bei der rechten Brust geschnitten. Und am Bauch. Die Streifen. Sie hat nicht geschrieen. Laut geseufzt, den Schrei in sich hinein gedrückt. Oft. Immer wieder. Ihre Beine sind auseinander. Das Gewand in Fetzen. Zerschnitten und zerrissen. Zwischen den Beinen in dem Rot die weißen Flecken. Ich hab gedacht, er kann das nicht. Ich wollt ihn treten. Ich habe ihn dann getroffen. Er hat zurück getreten. Auf das Schienbein. Ich kann das Bein nicht mehr bewegen. Es muss gebrochen sein. Oder der Schmerz. Oder das Klebeband.

 

Die Pension. Im Prospekt der Swimmingpool, die Sauna. Wellness. Und die Berge, das schöne Wetter. Sonne. Panorama. Auf der Autobahn hingegen regnet es. Die Scheibenwischer hin und her. Dann wieder nicht. Es ist dunkel. Es wird jetzt früher dunkel. Ich zünde eine Zigarette an. Ich habe wieder angefangen. Ich mach das Fenster auf. Draußen ist es kalt und feucht. Ich spüre, wie sie schaut. Erst sagt sie nichts. Ich werf die Zigarette aus dem Fenster. Dann kommt es.

 

Ich wache auf. Ich lass die Augen zu. Mir ist kalt, und es ist nass. Ich kann mich nicht bewegen. Den Körper spür ich nicht. Nur kalt und nass. Die Angst. Es ist außen. So schlimm kann es nicht sein. Ich warte, bis die Illusion zerplatzt. Ich mach die Augen auf. Es geht sehr schwer. Es hat sich nichts verändert. Er schaut mich an. Er will sich nicht bewegen. Er wartet. Ich bin müde.

 

Der Hund, sagt sie. Damit hab ich nicht gerechnet. Ich hab gedacht, die Zigarette. Es ist der Hund. Den hab ich weggegeben. Das hat ja nichts genützt. Das hab ich vorher schon gewusst, dass der Hund kein Kind ist. Das musst du mir nicht sagen. Wieso haben wir ihn nicht behalten. Weil du ihn nicht haben wolltest. Er hat hingemacht. Die Kleine wollt ihn schon. Dann der Blick. Die Stille.

 

Ich muss hier raus. Vorne ist ein Parkplatz, da kann ich raus. Frische Luft. Eine rauchen. Langsamer fahren, runterschalten. Vorne steht ein Auto. Da liegt einer darunter, hinten. Er bewegt sich. Ich bleibe stehen. Ich steige aus und gehe. Es ist nass und kalt. Ein kleiner Scherz. Er steht auf. Er findet das nicht lustig. Was ist schon lustig. Die Faust kann ich nicht sehen, die spür ich nur. Ich falle.

 

Sein nackter Hintern auf und ab. Die Tätowierung. Ein Anker, das Schiff kann ich nicht lesen. Oder den Namen. Wo die Liebe hinfällt, denk ich mir. Die Hose unten um die Beine. Die Unterhose weiter oben. Es geht nicht richtig, er schlägt ihr ins Gesicht. Und dann wieder. Sie hängt da an der Stange. Es ist ganz nah. Er zerrt an ihr herum. Das laute Seufzen, Stöhnen. Der unterdrückte Schrei. Er atmet heftig, er bemüht sich. In der einen Hand das Messer. Er muss es halten.

 

Er kann nicht richtig. Er versucht es immer wieder, er reißt an ihr herum. Ich hör die Knochen krachen, es ist kein Platz. Sie schreit nicht. Stöhnen, Stille. Er nimmt das Messer und fährt dann unten an der Brust herum. Er will, dass ich es sehe. Er will, dass ich das alles sehe. Die Haut platzt auf. Das Fleisch. Und dann das Blut.

 

Benommen steh ich auf. Ich greife hinten an den Kopf. Ich schaue in die Hand hinein. Das Blut. Die Lippen aufgeplatzt. Nicht greifen. Das tut weh. Dann seh ich sie. Sie ist unten an das Schild gebunden. Ich schau mich um, wo ist die Kleine. Ich kann sie nirgends sehen. Sie muss im Auto sein. Dann geh ich los. Er hört mich. Er dreht sich um. Er schlägt. Ich will mich wehren. Gehen tut es nicht. Er wirft mich auf den Boden. Er schleift mich hin zur Stange. Die Hände hinten, Klebeband. Die Beine vorne auch. Dann steht er da. Wir sagen nichts. Er holt den Draht. Um meinen Hals herum, ich kann den Kopf nicht mehr bewegen. Er steht da. Er schaut uns an.

 

Er stößt in sie hinein. Immer wieder. Es geht nicht richtig. Er atmet laut. Sein Hintern zittert. Es kommt. Es dauert. Dann liegt er da. Daneben auf dem Boden. Jetzt ist es still. Nur heftig atmen. Keuchen. Er steht auf. Er zieht die Hose rauf und macht sie zu. Er wartet. Er tritt ihr ins Gesicht. Dann beugt er sich hinunter. Er wischt das Messer ab auf ihrem Bauch. Hin und her. Er schaut mich an. Die Klinge. Die Haut platzt auf, das Fleisch, das Blut. Ich muss es sehen. Dann steht er da. Kein Laut. Nur heftig atmen. Er kommt zu mir. Er schaut sie an. Er packt mich an den Haaren und reißt den Kopf zurück. Das Messer.

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