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11 - die hebamme

http://www.kunstradio.at/2005B/11_09_05.html
gesendet am 11.09.2005  23:05 Uhr auf ORF - Ö1 - Kunstradio
Sprecherin: Christl Reiss / Tontechnik: Bernhard Ortmayer

 

 

Jetzt kommt sie herein. Es ist spät, oft ist es spät. Aber sie kann nicht so lange schlafen. Und immer Tabletten geht nicht. Das hält der Körper nicht aus. Der Kopf auch nicht. Obwohl das zusammen ist. Aber wenn der Kopf mit den Tabletten voll ist, ist nichts mehr da. Es ist alles dumpf. Die Schmerzen spürst du dann halt nicht mehr. Die vom Körper nicht und die vom Kopf auch nicht. Da ist schon besser manchmal Wein. Sie geht halt weg was trinken. Ein, zwei Mal die Woche.

 

Ich schau dann auf die Kinder, ich wohne gleich daneben. Das Telefon hat sie mit, wenn ich weg muss. Aber das war noch nicht. Nur für den Fall. Der Kleine schläft fast durch. Das ist ungewöhnlich in dem Alter. Für einen Säugling. Und wenn er aufwacht, schaut er. Ich sitz daneben und schau zu. Wenn er weint, dann nehm ich ihn. Aber das ist selten. Das Mädchen ist sowieso sehr brav. Dass der Vater nicht mehr da ist, merkt man ihr nicht an. Mich hat sie nie gefragt.

 

Manchmal trinken wir noch ein Glas Wein, wenn sie heimkommt. Wir sitzen da, und es ist ruhig. Reden tun wir nicht. In der Nacht nicht. Da brennt die Kerze und wir schauen in die Flamme. Tagsüber schon, aber auch nicht viel. Sie ist sehr ruhig geworden. Vorher war sie auch ruhig, aber nicht so. Fröhlicher war sie.

 

Ich geh hinüber und leg mich hin. Schlafen kann ich jetzt nicht, aber das macht nichts. Bei mir ist sowieso alles durcheinander mit dem Schlafen. Wegen dem Beruf. Wann die kommen, weiß man nicht. Oft ist es in der Nacht. Und es dauert manchmal lange. Beim Ersten dauert es sowieso oft lange. Am besten schlaf ich, wenn ich heimkomm nach der Geburt. Duschen, hinlegen, schlafen. Das geht gut.

 

Jetzt les ich halt was. Nichts Aufregendes, einen Krimi. Die sind schon spannend, aufregend sind sie nicht. Das geht so ein paar Seiten. Draußen wird es hell, ich kann die Vögel hören. Dann schlaf ich ein. Bis zur Müllabfuhr. Die weckt mich auf, die sind laut. So wie die Straßenreinigung um zwölf Uhr in der Nacht. Oder die vorm Puff. Das ist oft lustig, was die streiten. Sie sind betrunken. Ist egal. Wenn die weg sind, schlaf ich weiter.

 

Sie hat auch schon gearbeitet, nur ein paar Stunden in der Woche. Aber es ist nicht gegangen. Es sind die Nerven. Und die Tabletten. Jetzt nimmt sie wieder welche. Am Anfang auch, da hat sie ja nicht gewusst, dass sie schwanger ist. Dann schon. Sie hätte sie schon nehmen können, aber sie wollte nicht. Abtreiben auch nicht. Wir haben oft geredet. Eigentlich hab ich nur zugehört. Was hätt ich ihr schon raten können.

 

Aufstehen, Zähne putzen, duschen. Dann das Frühstück und die Zeitung. Das ist eine schöne Zeit am Tag, aber immer geht es auch nicht. Heute schon. Die Sonne scheint, es ist warm. Ich hab die Türe offen vom Balkon. Es ist alles grün. Dann richt ich die Sachen her für die Hausbesuche. Für die Betreuung. Das waren früher mehr, die ihr Kind zu Hause kriegen wollten. Heimgeburten sind nicht mehr so viele, aber die Betreuung geht ganz gut. Privat und alle Kassen. Manche sind ja gut versichert. Die Väter. Die kümmern sich sonst eh zu wenig. Ist auch verschieden.

 

Die drüben sind schon lange weg. Sie bringt die Kleine in den Kindergarten, und dann geht sie mit ihm spazieren. Einkaufen. Manchmal kaufen wir auch zusammen ein. Wenn es mehr ist. Und wenn ich Zeit hab. Dass man eben helfen kann. Es reicht, wenn man die Sachen in die Wohnung schleppen muss. Und die Kinder. Und den Kinderwagen. Ohne Lift, das Haus ist nicht so groß. Unten kannst du ja nichts mehr stehen lassen. Entweder sie stehlen es, oder sie zünden es dir an. Richtig gebrannt hat es Gott sei Dank noch nicht. Aber ausmalen haben wir früher öfter müssen. Jetzt ist das Tor halt zu. Tagsüber auch. Jetzt läuten sie und laufen weg. Das hab ich auch gemacht, das war lustig. Früher.

 

Ein Jahr ist das jetzt her. Aber es ist immer noch da. Nicht immer, die Pausen werden länger. Manchmal lacht sie. Wenn sie mit den Kindern spielt, lacht sie. Sonst selten. Es ist schwer mit ihr. Manchmal geht sie nicht zur Therapie. Zur Behandlung auch nicht. Obwohl wir alle helfen. Irgendwer im Haus hat immer Zeit, wir kennen uns ja alle. Und der Hund vom Arbeitslosen spielt gerne mit der Kleinen. Die spielen oft. Er nimmt sie auch oft mit in den Park, es ist nicht weit. Äußerln.

 

Ich trag die Sachen runter zum Auto. Parkplatz im Hof. Das ist jetzt umständlicher. Tor auf, rausfahren. Oft steht da wer, die Trafik ist gleich daneben. Also warten, hupen nützt ja nichts. Dann draußen hinstellen und das Tor zu. Da hupt dann doch wer in der Zwischenzeit. Es nervt. Trotz Gewohnheit. Ich hab angesucht für den Parkplatz vor der Tür, aber den bekomm ich nicht. Ich hab ja den im Hof. Die Schilder gibt es jetzt, das schon. Halteverbot. Die holen trotzdem Parkscheine und Zigaretten. Die Gasse ist eng, was sollen sie schon machen.

 

Sie war lange im Spital, es ist ihr schlecht gegangen. Sehr schlecht. Eigentlich ein Wunder, dass sie durchgekommen ist. Sie war ja schon fast tot. Es hat nicht gut ausgeschaut. Erst war sie im Tiefschlaf und dann voll mit den Tabletten. Wir haben sie besucht. Wie halt Zeit war, wir haben uns das eingeteilt. Ihre Verwandtschaft ist weit weg, die haben kaum kommen können. Am Wochenende halt, aber da waren manchmal schon zu viele wegen der Ruhe. Von den Freunden, das waren mehr seine, kommt heute keiner mehr. Manchmal ruft noch einer an. Aber sonst nichts. Die von der Firma, die kümmern sich noch. Finanziell. War ja auch seine Firma. Zum Teil. Aber das geht mich ja nichts an.

 

Ich mache meine Runde. Es ist nicht viel zu tun. Ein paar Sachen im Haushalt, die schweren, die sollen sie ja nicht machen. Eigentlich ist es mehr wegen der Freude, dass sie das nicht selber machen müssen. Können tun sie schon. Aber sie haben schon genug zu tun mit Kreuzweh und mit Übelkeit. Und wie das mit der Figur ausschaut danach, mit dem Busen, mit den Streifen. Das ist schwer genug, gerade beim Ersten. Betreuung eben. Untersuchen, Gymnastik, Massage, Körperpflege. Einschmieren, das vergessen sie andauernd. Dabei ist das gut für die Haut. Und für die Psyche. Für das Kind auch. Und viel reden. Das muss man ihnen immer wieder sagen. Aber dafür bin ich ja da. Auch nach der Geburt natürlich.

 

Es hat dann schon ganz gut ausgeschaut. Für die Umstände halt. Wie klar war, sie ist schwanger, war alles wieder aus. Totaler Einbruch. Dauernd geweint. Sie hat die Tabletten nicht mehr genommen. Geredet hat sie auch nichts mehr. Nur mit der Kleinen. Die war bei ihrer Schwester. Und die war wieder nur am Wochenende da. Und alle haben ihr zugeredet abzutreiben. Aber sie wollte nicht, da ist sie stur geblieben. Das Kind kann nichts dafür. Das hat sie gesagt. Und: Ich will es sehen.

 

Auf der Station ist alles in Ordnung. Kümmern muss ich mich nicht viel, da sind genug Leute. Aber ich schau gerne, wie sie sich verändern in den ersten Tagen. Das geht so schnell. Die Geburten mach ich jetzt oft dort. Bei den Komplikationen heute ist es mir lieber, wenn sie das Kind im Krankenhaus bekommen. Wenn was ist, ist es schon besser. Da war ich früher mutiger. Es lässt nach. Passiert ist ja nie was, Gott sei Dank. Jetzt gehen wir halt ins Krankenhaus. Oder ins Sanatorium. Wie sie halt versichert sind. Oder Geld haben. Ist nicht für alle gleich.

 

Ich bin dann hinaufgezogen. Die Wohnung neben ihr. Die alte Dame wollte eh schon vorher tauschen, runter ins Parterre, wegen der Hüfte. So bin ich rauf, damit sie jemanden hat. Da braucht sie nur mehr läuten. Viel zahlen haben wir nicht können, aber der Arbeitslose hat uns gern geholfen. Ein netter Mensch. Er ist geschieden. Er war vorher Maler. Mit zweiundfünfzig ist er jetzt zu alt, es nimmt ihn keiner mehr. Er wohnt im Keller, Souterrain. So schnell geht das.

 

Manchmal muss ich auch weiter fahren. Krankenhäuser am Land. Oder die Sanatorien. Da gibt es wirklich Moden, das spricht sich schnell herum. Aber oft kommt es dann früher als sie denken, dann sind sie erst wieder hier im Krankenhaus. Ist auch nicht schlechter als anderswo. Die Leute muss man sich halt aussuchen können. Ich kenne meine Leute. Und die kommen auch, wenn ich sie anruf.

 

Sie ist dann heimgekommen. Erst war es sehr schwer, aber ich war ja nicht weit weg. Die Schwangerschaft ist ganz normal verlaufen, körperlich. Der Körper hält ja viel aus. Nur die Nerven, das war nicht einfach. Aber das haben wir dann auch noch durchgestanden. Die Kleine war ja auch da, das hat sehr geholfen. Die ist ein Sonnenschein. Und die mag den Kleinen, keine Eifersucht. Vielleicht kommt das noch.

 

Wir sitzen da. Wir trinken Tee. Ich schau sie an, die Narben sind geblieben. Im Gesicht, am ganzen Körper. Aber wirklich sind sie innen. Die sind noch nicht verheilt. Da kann man außen noch nichts machen.

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