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03 - radio steiermark

http://kunstradio.at/2004A/09_05_04.html
gesendet am 09.05.2004 23:05 Uhr auf ORF - Ö1 - Kunstradio
Sprecher: Christoph Grissemann / Tontechnik: Josef Relinger

 

 

Der Lärm von der Müllabfuhr weckt mich auf. Sie sind spät dran und so brauche ich nicht weiterschlafen. Nach dem Zähneputzen ziehe ich das Rollo hinauf und mache den Kaffee. Es ist ein schöner Tag. Die Tabletten nicht vergessen.

 

Die Sonne scheint warm und am Balkon schießen die Pflanzen in die Höhe. Auch bei den Anderen sind die Pflanzen schon heraußen und es tropft von den Balkonen vom Gießen. Am Gehsteig schauen die Leute hinauf, wo das herkommt, weil es nicht regnet. Ich habe die Türen und Fenster offen, die Luft zieht durch die Räume und nimmt den Rauch von den Zigaretten mit. Der Kaffee schmeckt. Das Wasser auch.

 

Auch am Klo ist es jetzt hell, über den Lichthof kommt die Sonne von der weißen Wand durch das kleine Fenster, die Tagesmutter schimpft mit den Kindern. In der Zeitung ist etwas über den Mars. Umblättern, die Politik anschauen, die Leserbriefe, dann bin ich schnell fertig.

 

Ich zünde wieder eine Zigarette an und trinke den Kaffee aus, der ist kalt. Anziehen, den Müll hinunter, das Wetter macht fleißig. Viel Plastik, beim Biomüll picken innen am Deckel noch die Maden vom letzten Jahr. Die Post mitnehmen, oben den Kübel auswaschen. Dann das Leergut.

 

Einkaufen.

 

Alles einräumen, dann umziehen, abwaschen, rauchen am Balkon. Bettwäsche hängt aus den Fenstern und die Staubsauger klingen durch die Gasse, das steckt an.

 

Die Teppiche über das Geländer. Der Sonnenschirm ist jetzt sauber und zum Trocknen aufgespannt. Auch sonst putzen viele und lachen freundlich. Rundherum ist Kinderlärm, viele fahren mit dem Fahrrad. Ballspielen tun auch welche, aber das ist drüben im Hof, das kann man nur hören.

 

Jetzt trocknet auch der Boden. Mopedfahren hat wieder Saison und so ist es hinten in der Gasse manchmal recht laut wenn sie richtig aufdrehen. Es stehen auch Leute herum und reden entspannt. Dann spazieren sie weiter, es wird freundlich gegrüßt. Viele Fenster sind offen, sogar beim Puff kann man hineinschauen und es kommt Musik heraus, aber nicht laut. Am Fenster lehnt die Frau mit den schwarzen Haaren. Sie hat einen Schlafmantel an mit bunten Farben. Sie raucht eine Zigarette und lacht herüber. Ich rauche auch und lache zurück. Ein Hund zerrt einen Mann an der Leine hinter sich her, vorne verschwindet die Katze. Der Hund bellt.

 

Die Sonne kommt über den Giebel und blendet, wenn ich die Gasse hinunterschaue. Ich gehe hinein und setze mich hin. Draußen ist es jetzt so hell, dass man herinnen den Dreck auf den Fenstern sieht und die Tropfenränder vom letzten Regen. Hier ist viel Verkehr. Gegen den Feinstaub ist die Stadt machtlos, zu wenig Geld, da kann man nur putzen.

 

Von draußen der Geruch von Essen und das Klappern von Geschirr. Es ist ruhiger geworden, Mittagspause. Drinnen frischer Kaffee und wieder rauchen. Ich muss etwas essen, so mache ich mir zwei Semmeln.

 

Es ist jetzt richtig warm. Ich nehme den Fensterreiniger und das Mikrofasertuch, ich schwitze in der Sonne, es geht schnell, dann ist es sauber. Mit Zeitungspapier wird das nicht so schön. Jetzt kann man wieder richtig hinausschauen. Herein auch, es sind keine Vorhänge. Vom Westen kommen ein paar Wolken, kein Regen. Ich leg mich kurz hin.

 

Das Telefon läutet. Es ist die Schwester vom Krankenhaus, die Mutter war nicht erreichbar, so haben sie hier angerufen. Es soll wer hinkommen, es kann nicht mehr lange dauern. Wollen tu ich nicht, ich sage Ja. Umziehen.

 

Ich muss hinten über den Hof, da nehme ich den Papiermüll mit. Auf der Wiese im Hof darf man nicht gehen. Spielen auch nicht, so ist es recht ruhig. Die Gasse hinunter ist es wie ausgestorben, nur beim Elektrohändler wird verladen. Keine Mopeds. Fast keine Autos.

 

Im Torbogen ist der Pförtner, ich frage um den Weg, es sind einige Gebäude und ich weiß nicht, wo es ist. Den Weg entlang hinüber zum einen Neubau, in den dritten Stock. Es ist gar nicht weit, trotzdem war ich noch nie hier. Es ist alles hell und sauber und es riecht überhaupt nicht nach Krankenhaus. Oben auf der Station ein großer Raum, auch hier ist alles hell und sauber. Alte Leute sitzen herum, einige Tische sind zusammengestellt und die Leute basteln was. Sie sind recht fröhlich. Hinten sitzt ein alter Mann im Rollstuhl und schläft, aus dem Radio kommen Nachrichten. Eine Reinigungskraft wischt den Boden, ich gehe um den nassen Fleck herum.

 

Ich suche die Schwester, im Schwesternzimmer ist niemand, das Telefon läutet. Auf dem Gang sehe ich sie aus einem Zimmer kommen. Ich stelle mich vor und frage, sie sagt mir die Zimmernummer. Wenn ich was brauche, werde ich sie schon finden, es sind zu wenig Leute, nachher kommt sie dann vorbei. Und ich soll mich nicht schrecken, sagt sie. Dann muss sie gehen.

 

Es ist ein Stück den Gang hinunter. Das Zimmer geht auch nach Westen, aber die Tagesvorhänge sind zu, sodass es nicht blendet. Ein Tisch mit Blumen drauf, daneben die Stühle. Zwei gemachte Betten, weiß, straff, sauber. Im dritten, gleich neben der Tür, neben den Kästen, liegt jemand. Das Nachtkästchen mit der aufgeklappten Platte steht neben dem Bett. Auch hier Blumen in einer Vase, große Wattestäbchen, verpackt, die kenne ich, die sind mit Zitronengeschmack. Daneben ein Becher, eine Nierenschale. Vorne am Bett steht der Namen. Von draußen reden und Radio. Ich schrecke mich doch.

 

Zwischen den Kästen ist eine Waschnische, der Vorhang ist weggezogen, man kann das Waschbecken sehen, die Zahnbürsten, die Becher, den Seifenspender. Und den zum Desinfizieren. Es ist alles ordentlich, die Handtücher sind frisch.

 

Der Spiegel. Ich muss wieder hinschauen. Dann stehe ich neben dem Bett. Die Augen sind offen, aber der Blick ist nach innen. Ich soll was sagen, aber ich kann nicht. Dann hör ich das Atmen. Es rasselt leise wie von eingetrocknetem Schleim. Der eine Arm liegt auf der Decke, die Haut faltig über die Knochen. Es wird lauter. Von der Anstrengung biegt sich die Hand auf und zittert, der Kopf geht ein wenig zur Seite, zu mir her, die Augen. Der Pfropfen kracht richtig, dann ist es vorbei.

 

Ich nehme die Hand und halte sie fest. Sie ist ausgetrocknet und rau. Draußen vom Radio kommt fröhliche Musik. Ich drehe mich um. An der Wand über dem Tisch hängt ein Kreuz. Daneben zwei Bilder mit Blumen, die sind auch fröhlich. Ich schaue aus dem Fenster, es zieht zu. Es gibt einen Balkon und über den Mühlgang ist ein großer Park mit einem Bach und einem Teich mit einer Brücke. An den Ästen sieht man den Wind. Hinter mir rasselt es leise.

 

Die Balkontür klemmt und geht schwer auf. Ich stehe draußen und rauche tief. Drüben im Park sind Kinder. Die Sonne ist hinter den Wolken und es ist nicht mehr warm. So rauche ich nur zwei und gehe wieder hinein. Auf dem Tisch liegt die Zeitung, aber die kann ich jetzt nicht lesen. Auf dem Nachtkästchen ein Plastiksackerl, eins aus der Apotheke. Die, die so rascheln.

 

Ich stehe unten am Bett. Die Haut spannt über die Nase und die Wangenknochen. Auch sonst ist kein Fleisch da. Der Kopf liegt im Polster wie hineingedrückt. Die Haare sind kurz und grau und weiß. Sie sind sauber, aber keine Frisur. Der Mund ist halb offen, drinnen sind keine Zähne. Es rasselt, die Hand biegt sich auf.

 

Die Schwester kommt. Sie nimmt ein Wattestäbchen und fährt tief in den Rachen, sie zieht den Schleim heraus. Der ist so gelblichweiß und zäh. Dann noch einmal. Die gebrauchten Stäbchen mit dem Schleim kommen in die Nierenschale. Sie erzählt. Es dauert dreimal atmen, bis sie den Schleim heraußen hat. Mit einem feuchten Lappen wischt sie das Gesicht ab und drückt die Hand. Dann nimmt sie die Nierenschale und geht.

 

Ich bin am Balkon, es ist kalt. Dann muss ich aufs Klo. Die kalten Hände mit warmen Wasser waschen. Abtrocknen. Ich gehe zurück, es ist alles noch gleich. Ich stehe unten am Bett und schaue zu.

 

Außer der Schwester ist niemand hereingekommen. Die Tür ist die ganze Zeit offen, manchmal geht wer vorbei, immer das Radio.

 

Dann tun mir die Füße weh vom Stehen, das sind die schlechten Schuhe. Ich gehe hin und nehme die Hand. Da ist keine Kraft mehr, die ist zum Atmen. Ich lege die Hand zurück auf die Decke. Ich sag was, dann gehe ich hinaus.

 

Im Schwesternzimmer sitzt die Schwester und schreibt etwas in Listen. Sie steht auf. Ich frage, wie lange es dauert, aber sie kann es nicht sagen. Es ist verschieden. Ich sage, dass ich nicht bleiben kann. Sie redet weiter mit mir und schaut mich an. Sie sagt, sie versteht es. Ich will gehen und rede trotzdem noch weiter. Sie ist freundlich, und so kann ich dann weg.

 

Draußen geht Wind und es ist kalt. Über das Gelände, durch den Torbogen beim Pförtner vorbei, dann kann ich wieder atmen. Ich zünde eine Zigarette an und gehe langsam. Im Kopf surrt es. Beim Elektrohändler wird immer noch eingeladen, aber es sind andere Leute. Die Gasse hinauf ist es menschenleer wie vorher, der Himmel ist grau. Keine Autos, nur manchmal. Ich mache die Jacke zu und stecke die Hände in die Taschen.

 

In der Wohnung ist es kalt, es ist alles offen. Die Türen und Fenster zumachen, einheizen. Ich sitze da, draußen wird es dunkler. Beim Puff geht das Licht an.

 

Ich habe keinen Hunger, aber trinken muss ich was. Und aufs Klo. In der Wohnung ist es jetzt warm. Dann leg ich mich hin.

 

Das Telefon läutet. Es ist die Schwester vom Krankenhaus, es ist vorbei. Ich schaue durch die geputzten Fenster, es regnet. Es sind Tropfen an den Scheiben.

 

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