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radio comics

Graphik: Josef Klammer

gesendet von Jänner bis November 2004 

Die Reihe "Radio Comics" wurde auf Einladung des ORF-Ö1-Kunstradio produziert, ist auf CD erschienen und im Vertrieb Extraplatte erhältlich.

 

Die Reihe "Radio Comics" verkoppelt Text und Musik in gegenseitiger Ergänzung und Irritation. Wo der Beobachter die Textur einer Handlung zeichnet, vergrößert die Musik latente akustische Ereignisse. Die Parallelen treffen sich im Radio.

 

Dank an: ORF/Ö1/Kunstradio, Dieter Dorner, Uschi Lukas-Possert, Christoph Grissemann, Doris Glaser, Ilse Amenitsch, Verein OffenRealFundamental / Hotel Pupik / Schrattenberg, Martin Dickinger, Uli Vonbank-Schedler, Heimo Wallner, Martin Zrost, Werner Kanzian, Sandra Ziagos, Elisabeth Zimmermann, rhizom, Hildegard Dengg, Andreas Platzer, Wenzel Mraček, Univ.Prof.Dr. Eduard Peter Leinzinger (Vorstand des Instituts für Gerichtliche Medizin Graz), stockwerkjazz, SVOX / Zürich, ORF Landesstudio Steiermark, die Ohnmachtsdame, Ernst M. Binder

 

 

Es kommt immer die Rettung - radio comics von Albert Pall und Josef Klammer

Essay von Wenzel Mraček

 

Ein Mann fällt vor einem Geschäft um und erliegt dem Herztod. Polizei, Rettung, schließlich wird der Leichnam in einen Sarg gelegt, Polizisten unterschreiben Revers, Passanten, ein Hund. Erzählt wird mit monotoner Stimme in kurzen, lakonischen Sätzen.

 

Am Anfang war ein Text, so könnte man in Anlehnung an den von Albert Pall konsequent durchgehaltenen Duktus dieser Reihe von Erzählungen eine Weisheit formulieren, nach der das Wort Ursache für alles Weitere gewesen sei. Oder wenigstens am Anfang von allem Weiteren gestanden hätte. Vor gut zwanzig Jahren hatte er den ersten von sechs Texten geschrieben. "herztod" wurde vor wenigen Jahren wieder aktiviert und in Form einer Videoperformance, von Albert Pall selbst gelesen, in einer Grazer Galerie aufgeführt. Der Musiker und Komponist Josef Klammer wurde so auf die suggestive Kraft dieser kurzen Erzählung aufmerksam, und gemeinsam entwickelte man infolge das Projekt "radiocomics".

 

Ganz neu war das Genre der mit Sprechblasen versehenen Bildergeschichten in Streifen ja schon in seiner Frühzeit nicht, denkt man an synoptische Darstellungen in antiken Wandmalereien - frühes Beispiel ist die Synagoge Dura Europos am Euphrat aus dem 3. Jahrhundert -, mittelalterliche Buchmalerei, gotische Fresken mit Spruchbändern, Grotesken der Renaissance, Emblematik als Imago et Inscriptio und andere Präfigurationen des Films. Bilderzyklen von William Hogarth und der erste Serienheld "Dr. Syntax" von Thomas Rowlandson entstanden zu Ende des 18. Jahrhunderts in Großbritannien, in Deutschland waren es die Bilderbogen. Dagegen steht eine vergleichsweise kurze Zeitspanne von "The yellow kid" (1897) bis zur kanonisierten Form gegenwärtiger Mangas (übersetzt als "Zufallsskizzen"), die auch schon im 17. und 18. Jahrhundert, neben anderen von Hokusai, vorbereitet worden war. Quentin Terrentinos "Pulp Fiction" bereitet heutigen Schundheftllesern immer noch Kopfzerbrechen, wurde doch Pulp in der deutschsprachigen Rezeption erst sehr spät als Sprechblase verstanden. Wo aber genau war die Sprechblase im Film? Durch die schnelle Abfolge der einzelnen Bilder schienen sich zumindest die Figuren in diesem Comic zu bewegen.

 

Was aber, wenn man dem Comic auf Papier das Bild nimmt und etwas – der Comic nämlich – das gerade noch kein Film ist, jetzt nicht mehr zu sehen, sondern nur mehr zu hören ist? Diese Erweiterung des Genres durch Reduktion machte sich das Duo Pall / Klammer zur Aufgabe und komponierte die sechsteilige Reihe der "radiocomics" für das kunstradio auf Ö1. In präzisen rhythmisierten Sätzen wird eine Geschichte erzählt, die in Kombination mit den atmosphärischen Akustik-Samples die schon verloren geglaubten Bilder im Kopf des geneigten Hörers entstehen lassen. Das Soundmaterial auf Basis "alltäglicher akustischer Ereignisse, die möglicherweise mit dem Text in Zusammenhang stehen" (Klammer) erfüllt die Funktion von Bilderrahmen oder vielleicht Kadern. Als akustische Interventionen erinnern die Toncollagen aber auch an die klassischen Soundwords oder lautmalenden Geräuschwörter des Comics. Mittels des Computers werden so Zeitfenster in den Text gefügt, vergleichbar einem Zerhacker oder einem akustischen Stroboskop und ganz ähnlich dem kindlichen Öffnen und Schließen der Ohren durch die angelegten Handflächen oder dem abrupten Auf- und Abdrehen des Lautstärkereglers an einem Radio. Es entstehen synkopisierte und rhythmische, in sich verzahnte Klangspuren.

 

In seinen Texten bleibt Albert Pall streng auf den Plot konzentriert und vermeidet jegliche adjektiv auf Emotion gerichtete Komponente, wenngleich die Inhalte tragisch bis katastrophal angelegt sind und von Suizid, plötzlichem Tod oder Amoklauf handeln. Subtil führt etwa der akustische Bilderstreifen "radio steiermark" mit der Erzählerstimme von Christoph Grissemann einen Protagonisten durch den letzten Tag des Lebens seiner Mutter: Regen, Sonnenschein, Gassenklang, Zigarettenrauch und Fensterputzen, dann der erwartete und befürchtete Anruf aus dem Spital ...

 

© 2004 by Wenzel Mraček  - all rights reserved

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