die landeshauptmann
gelesen erstmals Sa, 19.02.2005 Forum Stadtpark Graz im Rahmen von "Die Szene sind wir", 4. Runde
Vor dem Fenster des Landeshauptmannbüros in der Grazer Burg steht ein großer, sehr alter Magnolienbaum: Er kann in die Herzen und Hirne der Menschen hineinsehen, die sich im Büro des Landeshauptmannes der Steiermark aufhalten, und von ihren Lippen ablesen, was sie sagen. Was er sieht, speichert er in seinen Blüten, in seinen Blättern, in seinem Holz und in seinen Wurzeln – je nachdem, wie tief es geht, was er sieht.
Seit dem 23. Jänner 1996 steht in allen Geschichten, die der Magnolienbaum erzählt, ein Mensch im Mittelpunkt: Waltraud, die an diesem Tag als erste Frau in der Steiermark und in Österreich Landeshauptmann wurde.
NOTIZEN:
Ihre Mutter hatte bereits vier Kinder, als sich Waltraud ankündigte, und der Vater war im Krieg. Ein fünftes Kind hätte die Möglichkeiten der Mutter überfordert. Deshalb dachte sie daran, dieses Kind nicht zur Welt zu bringen, so dass Waltraud nahe dem Schicksal vieler heutiger Ungeborener war. Aber der Arzt, zu dem ihre Mutter ging, redete ihr zu, das Kind doch lieber nach der Geburt zur Adoption frei zu geben. Waltrauds Mutter folgte diesem Rat.
Als Waltraud vier oder fünf Jahre alt war, kam ihr leiblicher Vater aus dem Krieg zurück. Er wollte sein Kind sehen. Aber die Adoptivmutti bat ihn, er möge Waltraud in Ruhe aufwachsen lassen, und er erfüllte ihr diesen Wunsch.
Im Jahr 1959 durfte Waltraud aufgrund ihrer guten Leistungen zur Aufnahmsprüfung in die damalige Lehrerbildungsanstalt am Hasnerplatz antreten und bestand mit ausgezeichnetem Erfolg. Aber als sie mit der stolzen Botschaft nach Hause kam, erlebte sie eine große Enttäuschung: "Die Mutti hat mir erklären müssen, ich kann nicht in die Lehrerbildungsanstalt gehen, wir können es uns nicht leisten. "Schau, dass du was lernen kannst‘, hat sie gesagt. ‚Gehen wir beide arbeiten. Irgendwas müssen wir tun, damit wir aus unserem Elend herauskommen."
1961: "Ich schwärmte damals gerade für Peter Weck, und es ist schon möglich, dass mich die Wangen des jungen Mannes an Peter Weck erinnerten." Der junge Mann war Simon. Mit ihm ist Waltraud bis heute verheiratet: "Als wir im Februar 1963 heirateten, hatte ich bei der Frau Gerstner seit 1960 über 500 Überstunden zusammengebracht. Die hatte sie sich alle aufgeschrieben und zahlte mir das Geld zur Hochzeit aus. Damit haben wir dann das Hochzeitsgewand kaufen können, denn wir haben beide nichts gehabt."
Als 1967 ihre Adoptivmutti gestorben war, hatte Waltraud zu arbeiten aufhören müssen, um ihre beiden Buben zu versorgen. "Auf die Kinder hat vorher immer die Mutti aufgepasst. Mit Simon an der Hand ist sie noch bedienen gegangen, den kleineren hat sie in der Babytragtasche mitgenommen." Aber schon nach der Geburt des dritten Kindes im Jahr 1969 trug sie wieder tatkräftig zum Existenzaufbau bei, in dem sie wieder halbtägig arbeitete: "Wir haben damals einen kleinen Zubau zu unserem Haus gemacht, in das mein Schwiegervater mit seiner zweiten Frau eingezogen ist, mit der Tante Maria. Sie ist so alt wie mein Mann, und die haben auch zwei Kinder gehabt. Die Frau meines Schwiegervaters ist sehr häuslich. Sie hat dann auf alle fünf Kinder geschaut, und auch den Garten hat sie geliebt und mir immer wieder erklärt, was ich alles nicht kann, was ich akzeptiert und mich außer Haus beschäftigt habe."
Mit der Sicherheit der Großfamilie im Rücken bestand ab 1970 die Beschäftigung Waltrauds außer Haus darin, das politische Leben in ihrer Gemeinde Weinitzen mitzugestalten: Am 8. März 1970, eine Woche, nachdem die ÖVP die Nationalratswahl verloren hatte, gründete Waltraud mit 38 Frauen in Weinitzen eine Ortsgruppe der Frauenbewegung.
Es war die politische Lehrzeit für Waltraud: "Ich habe geschaut, wie es die anderen machen, und habe zunächst nicht verstehen können, warum sie es sich gegenseitig so schwer machen. Aber bald habe ich begriffen, dass Politik auch heißt, zu zeigen, dass man es besser kann als die anderen, weil man sonst keine Wahlen gewinnen kann."
Gleichzeitig unterstützte Waltraud daheim ihren Mann beim Aufbau ihres Transportunternehmens. Bereits im Jahr 1964 hatte sie den LKW-Führerschein gemacht. 1970 wurde der zweite firmeneigene LKW angeschafft. "Den haben wir in Lannach abgeholt, und da habe ich mir eingebildet, dass ich mit ihm heimfahren muss nach Mariatrost. Mein Mann ist neben mir gesessen und war sehr unglücklich. Als wir bei einer Tankstelle in der Elisabethstraße halten mussten, hat er gemeint, er fahre jetzt weiter heim.‘ Aber ich ließ es nicht zu. Ich wollte die ganze Strecke bewältigen und habe zu ihm gesagt: ‚Wenn du dich fürchtest, dann steig aus. Ich fahr jetzt heim!‘ Er hat sich dann geopfert und ist sitzen geblieben. Ich glaube, viele solcher Fahrten hat er nicht gehabt in seinem Leben. Ich bin sicher nicht gut gefahren, vor allem für jemanden, der ein Lastauto wirklich fahren kann. Der Führerschein allein ist ja viel zu wenig, da gehört Praxis dazu, und ich bin heute sicher, dass meine Entscheidung richtig war, nicht im Laster sitzen zu bleiben. - Das war meine einzige ehrlich große Fahrt mit dem LKW, und damit war es genug." Das heißt freilich nicht, dass Waltraud gar keine Frächterarbeit geleistet hätte. Aber ihr Fahrzeug war ein VW-Bus, mit dem sie heiße Ziegel in Andritz holte, Zahnarztsessel zustellte oder auch Särge transportierte. Außerdem fuhr sie den Schulbus.
Im Jahr 1974 übernahm Waltraud von Edda die Landesleitung der Katastrophenhilfe der Österreichischen Frauen. Seit 1993 ist sie Bundesleiterin und wird in ihrer Funktion von zwei Stellvertreterinnen unterstützt: "Denen bin ich sehr dankbar, dass sie das so gut machen. Irgendwann in meinen alten Tagen, wenn ich nicht mehr Landeshauptmann bin, werde ich die Funktion wieder voll übernehmen." Waltraud ist auch viele Jahre Vorsitzende des Kinderdorfvereins Steiermark und im Vorstand des Vereins Frauenheim - Pflegeheim in der Goethestrasse in Graz: "Alle anderen Vereinstätigkeiten habe ich zurückgelegt, weil man ja nicht alles schaffen kann, aber diese drei Gruppen sind mir sehr wichtig, sonst geht mir die Nähe zum Alltag der Menschen verloren, und das will ich nicht." - Als sich Waltraud für den Kinderdorf-Verein zu engagieren begann, hat sie sich auch an ihr eigenes Schicksal erinnert: "1945 hat es noch kein Kinderdorf gegeben, Hermann hat das erste erst 1949 gegründet. Was wäre wohl aus mir geworden, wenn ich nicht eine so gute Adoptivmutti gefunden hätte? Ich habe immer Glück gehabt, es ist immer die richtige Fügung gewesen."
Am 10. November 1977 fuhr Waltraud das erste Mal in ihrer neuen Würde als Bundesrätin mit dem Zug nach Wien. Ihr Mitreisender war der erfahrene und langjährige Bundesrat Otto. "Anscheinend habe ich nicht sehr glücklich dreingeschaut, denn er hat zu mir gesagt: ‚Heute ist es trüb, aber im Juni zeige ich dir die Rosen im Volksgarten. Dann wirst du sehen, wie schön Wien ist.‘ Er hat das auch wirklich gemacht. Irgendwann im Juni ist er mit mir in den Volksgarten gegangen und hat mir die Rosen gezeigt. Seither muss jeder, der mit mir um diese Jahreszeit nach Wien fährt - gleichgültig wer es ist -‚ mit mir in den Volksgarten gehen, Rosen schauen. Das hat mir unendlich viel geholfen."
Am 21. Juni 1981 war Waltraud wieder für ganz daheim. An diesem Tag wurde sie als Abgeordnete des Steiermärkischen Landtags angelobt, und als zwei Jahre später, 1983, der legendäre Hanns als Landtagspräsident in Pension ging, wurde Waltraud zur dritten Landtagspräsidentin gewählt. "Es hat immer Menschen gegeben wie Edda und Josef", sagt Waltraud über ihren schnellen politischen Aufstieg, "die mir vertraut und eine Chance gegeben haben."
Waltrauds leibliche Mutter starb an dem Tag des Jahres 1996, als der deutsche Bundeskanzler Helmut nach Österreich auf Staatsbesuch kam. Waltraud, bereits Landeshauptmann der Steiermark, war beim Empfang, den der Bundespräsident zu Ehren des Gastes in Wien gab. Am Tag darauf besuchte Helmut die Steiermark. "Als ich vom Empfang wegging, hat mich mein Sohn im Auto angerufen und gesagt, die Mutter ist gestorben. Und am nächsten Tag ist Helmut in die Steiermark gekommen. In dieser Nacht ist mir die Beziehung zwischen Deutschland und der Steiermark so richtig bewusst geworden. Alles bekommt Bedeutung, wenn man darüber nachdenkt. Der deutsche Bundeskanzler kommt zu uns in die Steiermark auf Besuch - ich empfange ihn da, und in der Nacht vorher stirbt meine deutsche Mutter. Es hat mich sehr bewegt."
Waltraud hat seit dem 23. Jänner 1996 als Landeshauptmann den ersten Platz im Land: "Jetzt sehe ich meine Aufgabe darin, dass die Kinder, die im Jahr 1990 geboren wurden, eine Zukunft haben, und für diese Zukunft arbeiten wir jetzt. Bis 2010, 2020 brauchen sie einen Arbeitsplatz, bis dorthin brauchen sie ihre Ausbildung, sie brauchen Wohnraum, sie brauchen ein Land, in dem sie leben können im Sinne des großen Europa. - Es ist unsere Zukunft, für die wir arbeiten, denn dann werden wir alt sein. Und es wird uns dann nur gut gehen, wenn es unseren Kindern und Enkeln gut geht."
Zum Gutgehen gehören für Waltraud außer Arbeitsplatz und Sicherheit, für die sie als Landeshauptmann besondere Sorge trägt, aber auch Blumen und die Kunst. Dass beide für Waltraud in einer besonderen Weise zueinander in Beziehung stehen, wird durch ein kleines Stück des Materials symbolisiert, mit dem der Künstler Christo im Juni 1995 den Reichstag in Berlin verhüllt hat: "Ich habe es in meiner Geldtasche. Wir waren auf dem Weg nach Cottbus dort." Cottbus war die erste ostdeutsche Stadt, in der nach der Wende eine deutsche Gartenschau stattfand; Waltraud besuchte sie gemeinsam mit den steirischen Gärtnern.
--- Montagematerial entnommen aus: "Die Botschaft des Magnolienbaums – Die ungewöhnliche Lebensgeschichte der ersten Frau im Land", einer Broschüre, die zur Landtagswahl 2000 an die Haushalte verschickt wurde. Medieninhaber, Herausgeber und Verleger: Verein Heimatland Steiermark. ---